Ich hole meine Tochter jeden Tag um 14 Uhr aus dem Kindergarten ab. Wir KiGa-Eltern sprechen alle eine gemeinsame Sprache: Deutsch. Und zwischen unseren Wortwechsel? W. spricht mit Opa Chinesisch, M. mit der Mama Ungarisch, L. Bosnisch, N. Italienisch und A. Englisch. Viele dieser Eltern standen vor der Geburt ihrer Kinder vor der schwierigen Frage: mehrsprachige Erziehung – ja oder nein?

Mehrsprachige Erziehung ist nicht gerade ein Thema, bei dem ich aus reichhaltiger Erfahrung schöpfen kann. Meine Mama scherzt zwar manchmal, bei mir wäre die zweisprachige Erziehung – auf Deutsch und Wienerisch – kläglich gescheitert, aber prinzipiell habe ich als waschechte Österreicherin mit österreichischen Vorfahren abgesehen vom (teils gescheiterten) Wienerischen eben ausschließlich Deutsch als Muttersprache.

Viele meiner Bekannten sind aber Migranten der zweiten Generation. Ihre Eltern haben mit ihnen die Wiegenlieder nicht auf Deutsch vorgesungen, aber vieleicht auf Bosnisch, Ungarisch, Polnisch, Englisch oder Spanisch. Viele von ihnen (nicht alle) wollen das für ihre Kinder auch, denn es hat sie geprägt.

Mehrsprachige Erziehung: Sorgen aus Unwissenheit

Zweisprachig aufwachsende Kinder haben einen offensichtlichen Vorteil anderen gegenüber: sie sprechen von klein auf zwei Sprachen meist fließend. Soll man die Zweisprachigkeit also wagen, wenn man die Möglichkeit dazu hat? Wie geht man damit um? Eltern begleiten dabei viele Sorgen und Herausforderungen, die sich einsprachigen Familien gar nicht stellen. Sorgen, für die es kaum ExpertInnen und damit wenig bis keine Beratung gibt. Sorgen aus Unwissenheit, die viele dazu bewegen ganz auf Mehrsprachigkeit zu verzichten.

Mag. Zwetelina Ortega ist Sprachwissenschaftlerin und eine der wenigen Expertinnen auf dem Gebiet der mehrsprachigen Erziehung. Sie selbst ist mehrsprachig aufgewachsen und hat dies aufgrund der Familienkonstellation auch bei ihrern Kindern gefördert. Sie ist Gründerin des LinguaMulti Beratungs- und Schulungszentrum und hat mir im Interview erzählt, was die größten Herausforderungen in der mehrsprachigen Erziehung sind und wie Eltern ihre Kinder sprachlich fördern können.

Foto: Mag. Zwetelina Ortega

Foto: Mag. Zwetelina Ortega

Stadtmama: Was ist die grösste Sorge von Eltern, die ihre Kinder mehrsprachig Erziehen möchten?

Beim Aufwachsen ist es immer so, dass eine Sprache sich schneller entwickelt als die andere. Die Bedürfnisse sind üblicherweise in einer Sprache intensiver, eine Sprache wird aufgrund von Ausbildung und Umgebung immer die stärkere, bzw. schwächere sein. Gerade hier haben Eltern die größten Unsicherheiten. Sie fragen sich, wie sie die Mehrsprachigkeit im Alltag am besten organisieren können. Die einfachere Variante ist, wenn einer der beiden Elternteile Deutsch spricht. In der dreisprachigen Variante ist die Hürde der Organisation noch einmal höher. Speziell, wenn die Elternteile die Muttersprache des anderen gar nicht sprechen.

Es ist verständlich, dass Eltern verunsichert sind, weil die Informationen dazu nicht so einfach zugänglich sind. Das Thema mehrsprachige Erziehung wird oft als ein sehr exotisches behandelt. Mehrsprachige Sprachentwicklung ist ein sehr kleines Forschungsfeld. Generell ist die sprachliche Entwicklung etwas, wofür vielen Ärzten oder Pädagogen oft schlicht und einfach das Fachwissen fehlt.

Stadtmama: Beginnen Kinder später zu sprechen, wenn sie mehrsprachig aufwachsen?

Nach neueren wissenschaftlichen Erkenntnissen ist die sprachliche Entwicklung bei Kindern durch Mehrsprachigkeit nicht verzögert. Einerseits ist die Entwicklung der Sprache bei jedem Kind unterschiedlich und andererseits hängt sie generell stark von der Förderung ab. Ist ein Kind in der sprachlichen Entwicklung also sehr langsam, ist es egal, ob es mit einer oder mehreren Sprachen aufwächst. Das Tempo wäre in beiden Fällen sehr ähnlich.

Generell kann man sagen, die Art und Weise der sprachlichen Erziehung hängt in den ersten Jahren und Monaten stark von den Eltern ab, also davon wie und wie viel kommuniziert und auch wie stark gefördert wird. Zusätzlich sollte man nicht außer Acht lassen, dass Kinder eine enorme Eigenmotivation haben können. Manche Dinge finden sie einfach von sich aus spannend, andere vollkommen uninteressant. Deshalb finden zweisprachig aufwachsende Kinder eine Sprache je nach Motivation für sie vielleicht viel nützlicher und sinnvoller als eine andere und lernen diese schneller (Beispiel: Wenn ich mit einer Sprache nicht an die Milchflasche komme, versuche ich es mit der anderen)

Das Individuum Kind spielt also auch eine sehr wichtige Rolle in der Entwicklung. Auch sehr kleine Kinder finden gewisse Dinge besser und schlechter als andere, schon lange bevor sie das bewusst selbst entscheiden können.

Stadtmama: Mehrsprachige Erziehung bei Nicht-Native Speaker. Was ist zu beachten?

Manche Eltern wünschen sich eine mehrsprachige Erziehung, obwohl es nur eine Familiensprache gibt. Hier empfiehlt sich beispielsweise von Beginn an ein bilingualer Kindergarten. Wenn die Eltern eine Fremdsprache nicht als Muttersprache haben, spricht man von der Intentionalen Mehrsprachigkeit. Sinnvoll ist es (wie auch im Fall der familiären mehrsprachigen Erziehung), sich ein langfristiges Konzept zu überlegen, damit das Kind die Sprache nachhaltig lernt und sie auch nicht wieder verloren geht. Wird Französisch beispielsweise nur im Kindergarten gesprochen und in der Volksschule nicht mehr, kann das Kind mit zehn Jahren vielleicht nicht einmal mehr zehn Vokabel und die Zweitsprache ist „wie wegradiert“.

Stadtmama: Wie lernen Kinder Sprache(n)?

Kleine Kinder sind nicht in der Lage analytisch zu lernen. Sie erwerben Sprache, sie lernen sie nicht wie Erwachsene. Damit sie Wissen aufnehmen können, muss der Unterricht entsprechend gestaltet sein. Sie können dafür aber dann enorme Mengen aufnehmen. Sprache ist für Kinder am Anfang sekundär, weil sie mehr über Körpersprache kommunizieren als wir Erwachsene. Je älter Kinder werden, desto wichtiger wird Sprache. Irgendwann kommt der Moment, in dem Kinder bewusst mit Sprache umzugehen und sie in sein Leben aufzunehmen. Mehrsprachig aufwachsende Kinder fangen dann bewusst an, sich in bestimmten Situationen für eine Sprache zu entscheiden.

Stadtmama: Wie kann ich Mehrsprachigkeit bei älteren Kinder noch fördern?

Was man nicht machen kann, ist – egal in welchem Alter – den Schalter umlegen und von heute auf morgen plötzlich eine neue Sprache einführen. Das nimmt kein Kind an und das ist auch für die emotionale Beziehung, die über eine Sprache aufgebaut wird, eine Herausforderung und Belastung. Die Muttersprache vermittelt elterliche Emotionen, die man in einer anderen Sprache nicht auf die gleiche Art und Weise mitgeben kann. Mit vier Jahren hat dieser Prozess der emotionalen Bindung über die Sprache bereits statt gefunden. Will man seinem Kind trotzdem noch eine mehrsprachige Erziehung in der eigenen Muttersprache ermöglichen sind zweisprachige Bildungsinstitutionen oder konsequente sprachliche Förderung in Kursen empfehlenswerter.

„Weniger ist mehr. Es bringt nichts, sich ständig zu überfordern. Wenn man es machen möchte, sollte man sich vor Augen führen, wie wichtig die Konsequenz ist.“

Tipps vom Experten: So einfach kann mehrsprachige Erziehung klappen und wie ihr eure Kinder fördern könnt.

Mehr zu LinguaMulti

Es gibt verschiedene Angebote für Eltern und werdende Eltern auf Deutsch und Englisch. Dabei werden in praktsischen und theoretischen Einheiten innerhalb des Workshops unter anderem folgende Fragen behandelt:

  • Wie sollte der Familienalltag aussehen, wie organisiert man sich?
  • Welche Situationen kommen auf uns zu?
  • Wie kann man damit umgehen, wenn sich beide Elternteile gegenseitig nicht verstehen und hier noch eine Sprachbarriere dazukommt?
  • Wie kann man das Kind fördern?
  • Warum ist „eine Sprache, eine Person“ gut und wie wendet man das im Alltag an?
  • Wie sieht sie Sprachentwicklung aus (oder wie kann sie aussehen)?

Der nächste Workshop „Ich erziehe mein Kind mehrsprachig – wie es mir gelingt“ findet am 23. April statt. Für spezifischere Fragen, zum Beispiel zum Thema Ausbildung, empfiehlt sich auch eine Einzelberatung.

Übrigens gibt es auch ein Schulungs-Angebot für PädagogInnen (Kindergärten und Schulen) sowie Workshops für Kinder und Jugendliche.

Lesestoff zum Thema Mehrsprachigkeit

Zwetelina schreibt seit Jahresbeginn monatlich einen Beitrag für den Blog LinguaMulti im Online Standard. Wer mehr aus ihrer Praxis erfahren möchte, sollte dort mitlesen!

Auf der LinguaMulti Webseite gibt es Portraits von Menschen, die sich besonders um Mehrsprachigkeit bemühen.