Wisst ihr, wie viel Zeit ich jeden Tag damit verbringe, zu warten. Nicht auf Bus, Bim oder S-Bahn, auch nicht auf einen Arzttermin. Eigentlich warte ich auf nichts Bestimmtes. Wie lange jeden Tag? Ich weiß es nicht genau. Aber jetzt, da es Minusgrade hat, kommt es mir viel länger vor als sonst, wenn Oona jeden Grashalm zwischen der U-Bahn und unserer Haustüre zählt. Und ja – es wächst hier viel Gras.
Mama, bitte warten!
Irgendwie scheint Kindern die Kälte nichts auszumachen. Seelenruhig hat Oona vorgestern Abend gefrorenen Sand aus einer Ecke der Sandkiste in die andere geschaufelt. Mama stand indes daneben und fand es irgendwie zu frostig zum Sandspielen. Und irgendwann ist es mir dann rausgerutscht: „Komm jetzt, wir müssen weiter …“. Nicht, dass es mich auch nur einen Meter weitergebracht hätte. Und recht geschieht mir. Was bilde ich mir ein, mein Kind so einfach aus ihrem Forscherdrang zu reißen. Dabei war es diesmal ausnahmsweise gar nicht so gemeint, wie es klingt. Wir waren weder spät dran, noch hat irgendjemand auf uns gewartet. Mir war einfach nur kalt. Schließlich trage ich keinen Ganzkörper-Winteranzug und Thermostiefel.
Ich hatte Glück. Ein bisschen gutes Zureden hat gereicht, zumindest bis zum Tunnel am Spielplatz um die Ecke …
Bloß nicht hetzten!
Ich vermute, in den Augen unserer Kinder ist die Angewohnheit ihrer Eltern, immer durchs Leben eilen zu wollen, völlig unverständlich und sinnlos. Schließlich ist jedes Detail am Weg von A nach B faszinierend und erforschenswert. Heute mussten wir zum Beispiel in jede hohle Eisenstange reinschauen, die die Anrainer in unserer Umgebung als Absperrung für ihre Parkplätze benutzen. Also zuerst Oona, dann ihre Puppe und zuletzt ich. Und wir haben die vertrockneten roten Beeren auf einem Busch in der nächsten Gasse einzeln abgezupft. Gott sei Dank nicht alle, sonst stünden wir nächste Woche noch dort. Und da dachte ich mir: es ist schön, wenn man Zeit hat, sich diese Zeit zu nehmen. Ich hoffe, das bleibt noch eine Weile so.
„Komm jetzt …!“ – ein Unwort?
Ich finde: Ja. Ich habe mir vorgenommen, es aus meinem Wortschatz so weit und so lange wie möglich zu verbannen. Ich weiß, immer wird es nicht klappen. Manchmal hat man Termine und kann nicht immer um eine Stunde mehr Wegzeit einrechnen. Aber wo es geht, werde ich ausreichend Zeit einplanen oder einfach versuchen, es anders auszudrücken. Bei einem Treffen mit Freunden hilft oft das Versprechen, ihre Freunde schneller zu sehen, wenn wir nicht trödeln. Am Weg in den Kindergarten versuche ich sie mit dem Frühstück, ihren Kindergartenfreunden oder mit der Möglichkeit einer morgentlichen Busfahrt zu locken. Und manchmal, sogar erstaunlich oft, klappt es tatsächlich.