Ihr kennt das alle: seid ihr und eure Kinder entpannt, ist alles in Butter. Irgendetwas Klitzekleines passiert. Vielleicht greift ihr die Tasse eures Kindes auf der falschen Seite an. Und vorbei ist es mit der Ruhe. Der eures Kindes und eurer auch gleich.
Und manchmal passiert es: ich lasse mich provozieren, schalte meinen Kontrollschalter auf „off“ und Emotionen brodeln aus mir hervor… Es ist schwer, das zu kontrollieren, denn selbst wenn man eine Schuld suchen würde, es gibt niemanden, der Schuld ist. Außerdem wäre es völlig unerheblich. Schuldzuweisungen bringen nichts und wären nur ein Vorwand.
STOP!
Das wäre der Moment „STOP“ zu schreien, denn was von den in diesen Situationen sowieso meist sinnlosen Wörtern bei euren Kindern ankommt, ist nur noch heiße Luft für sie. Hier zum, Beispiel: wenn das kleine Fräulein wieder ihren „Du kannst mir gar nichts“- Blick aufsetzt und mich lauthals anschreit: „Ich will nichts mehr hören! Du kannst mir gar nichts mehr sagen!“ um aus dem Zimmer zu stampfen, tanzen meine Gefühle mit mir Salsa. Tja, was geht Mama. Sie motzt zurück wie eine 14-jährige.
Doch: Kinder können diese Gefühle noch nicht kontrollieren. Wo ihre Nervenbahnen offensichtlich durchbrennen ist es an uns, Ruhe zu bewahren und sie zu führen. Kinder haben ihre Gefühle nicht im Griff. Wir sollten es wenigstens versuchen. Gesagt, getan? Als diese Phasen erstmals auftraten, tat ich mir sehr schwer. Ruhe zu bewahren ist sowohl Einstellungs- als auch Übungssache und mittlerweile fällt es mir leichter. Was nicht heißt, dass ich es jetzt immer schaffe, aber das steht auf einem anderen Blatt. Vor allem zu Beginn bin ich häufig selbst zum Kind geworden und habe halb blind wütend „zurückgeschnappt“.
Meine Yogalehrerin gab uns folgenden Rat: „Regst du dich auf, fokussier dich auf das Ausatmen. Das spült Wut aus dir heraus. Brauchst du Kraft, auf das Einatmen.“ Also lange ausatmen, kurz einatmen. Mehrmals. Auch das Atmen braucht viel Übung. Ich brauche noch andere Strategien, mit solchen Situationen umzugehen. Es liegt die Vermutung nahe, dass alle Eltern irgendwann an einen Punkt stossen, an dem sie nicht mehr weiter wissen, ratlos sind und traurig, dass ihre Hilfe eventuell sogar abgelehnt wird. Nicht immer will das kleine Fräulein meinen Beistand. Sie wirft mich regelrecht aus dem Zimmer, schickt mich weg, will alleine sein und brüllt mich an.
Vor kurzem habe ich deshalb ein spannendes Seminar bei Paar-, Eltern- und Erziehungscoach Sandra Teml-Jetter besucht, die in ihren Workshops nach dem Konzept von FamilyLab Gründer Jesper Juul auf das Thema Be-Ziehung eingeht und dabei die Bedürfnisse aller Familienmitglieder mit einbezieht. Workshops, die ich übrigens jedem ans Herz legen möchte, der sich tiefer mit Beziehungen und Konflikten in der Familie beschäftigen möchte. Das Thema meines Workshops war „Aggression & Konflikt in der Familie: vom (scheinbar) destruktiven Verhalten zu konstruktiven Lösungen „. Ich habe nach dem Abend noch lange darüber nachgedacht, wie ich bei uns an das Thema heran gehen soll. Ich habe viel gelernt und möchte ein paar After-Workshop-Gedanken mit euch teilen.
Be-Ziehung statt Er-Ziehung
„Das Kind ist aber schlecht erzogen!“. Kennt ihr diesen Spruch? Nicht immer – oder meistens nicht, denn sie kennen die Norm ja gar nicht – handeln Kinder der generell üblichen gesellschaftlichen Norm entsprechend. Tja und dann sind sie in den Augen anderer verzogen. Oder schlecht erzogen. Also eigentlich schlecht „abgerichtet“, denn auch der Begriff „folgen“, also „das Kind kann überhaupt nicht folgen“ ist imemr noch sehr verbreitet. Wenigstens in der Generation unserer Eltern. So war das früher eben, Kinder hatten zu folgen. Zumindest wurde es so bezeichnet. Generell wurden Kinder früher offensichtlich in strengeren Normen „aufgezogen“. Gestillt wurde in streng getimeten Abständen (meine Mama hatte meinen Bruder nach Vorgabe alle vier Stunden zu Stillen bzw. zu Füttern, auch in der Nacht) und für alles und jenes gab es angedrohte Konsequenzen, die dann mehr oder weniger umgesetzt wurden. Auch in der Erziehung hat man sich wohl noch auf andere Theorien gestützt. Meine Mama hat in der Schule noch Schläge mit dem Rohrstab auf die Finger bekommen und musste in der Ecke stehen. Etwas was meiner Generation Gott sei Dank schon längst erspart blieb.
Für mich wirken frühere Theorien und Methoden oft wie ein „das Kind in eine Richtung zu ziehen“, wie es Erwachsene eben gerne hätten. Nur sind Kinder eben keine Hunde, die sich gut abrichten lassen. Oder vielleicht doch, aber mit erheblichem Schaden an ihrem Selbstwertgefühl und der Psyche.
Ihr kennt sicher den Begriff „Bindungs- und Bedürfnissorientierte Erziehung“, die eher ein Begleiten der Kinder auf ihrem Weg nach ihren Bedürfnissen beschreibt. Das ist natürlich alles Einstellungssache und sich an den Bedürfnissen der Kinder zu orientieren ist für Erwachsene im Trott unserer Gesellschaft eine knifflige Aufgabe. Bedürfnisse zu berücksichtigen kostet Zeit. Zeit, die wir uns nehmen sollten, es aber nicht immer zu können glauben. Zeit, in der wir nicht gestresst sein sollten, denn manchmal kostet bedürfnissorientierte Begleitung viel Kraft.
Gerade in emotionalen Situationen sehe ich mich der Lage oft nicht gewachsen. Ich bin häufig nicht entspannt genug und wenn es in mir zu brodeln beginnt, hat mein Denken manchmal leider einen sehr lockeren „Off“-Schalter. Eine Frage, die ganz zu Beginn des Workshop-Abends ein Thema war, ist „Wie bin ich und will ich so sein?“. Ich denke nach. Und in manchen Situationen könnte ich laut schreien:“NEIN! Will ich nicht!“ Ich war immer recht konfliktscheu und bin unter Streß viel zu leicht reizbar. Sinnlose Worte blubbern dann manchmal aus meinem Mund, die bei meiner Tochter genau als solches ankommen: Geblubber.
Emotions-Management in Stress-Situationen
Manche Dinge weiß ich, mache sie sich aber nicht wirklich bewusst. Beispielsweise, dass ich meine Emotionen managen können sollte wie jeder Erwachsene. Werde ich provoziert sollte es möglich sein drei Mal tief durchzuatmen und dann erst zu Handeln. Ist es nur leider seltener als mir lieb ist. Kinder dagegen arbeiten gut zwanzig Jahre daran, die Kompetenz zu entwickeln, mit Emotionen umgehen zu können. Schockt euch diese Zahl? Tatsächlich, ich hätte auch nicht gedacht, dass der Mensch erst mit ca. 21 seine Emotionen unter Kontrolle hat. Wenn überhaupt. Erinnert euch an eure Jugend, das kommt schon irgendwie hin. Kinder und Teenager sind also kaum in der Lage, Konflikte zu lösen. Weder mit ihren Eltern noch untereinander. Wir Eltern haben also die Konfliktlösungs-Verantwortung, deshalb müssen auch wir schauen, dass wir negative Emotionen nicht als Feuerball auf unsere Kinder abfeuern sondern uns eben unter Kontrolle haben.
Werden wir wütend, wenn sie wütend sind, ist keiner von uns mehr kommunikationsbereit. In Wahrheit ist bei Kindern genau wie bei Erwachsenen eine sinnvolle Kommunikation erst wieder möglich, wenn beide Seiten ruhig sind. Sonst motzen sie sich – wie das kleine Fräulein und ich in letzter Zeit machmal – sinnlos gegenseitig an. Und am Ende hat keiner etwas davon.
Für sie da sein und bleiben
Da bleiben, unterstützen und „einfach Ruhe geben“. Ich setzte mich dann manchmal einfach neben meine Tochter und warte. Meist will sie mich dann eigentlich gar nicht sehen („Mama, geh raus!“). Das tut weh, obwohl ich weiß, sie meint es nicht persönlich. Ok, in schwachen Momenten gehe ich auch zornig weg und sage „Dann mach was du willst! Ist mir doch egal!“ STOP! Das sind die erwähnten Momente, wenn das mit dem drei mal Durchatmen und ruhig bleiben nicht geklappt hat. Meine Alarmglocken läuten, sobald der blöde Satz raus ist. Sie ist mir natürlich nicht egal, kann das aber nicht wissen, weil sie solche versteckten Botschaften noch nicht deuten kann. Wenn ich weiß, dass ich gewissermaßen pädagogischen Blödsinn verzapft habe, plagt mich umgehend das schlechte Gewissen. Gut so … . Ich habe mich nicht erst einmal bei ihr entschuldigt. Aus genau diesen Mustern auszubrechen empfinde ich besonders schwer. Aber stellt euch mal vor, jemand würde das mit euch machen. Wirklich, kein Scherz – stellt es euch vor!
Nicht gerecht werden
Manchmal denke ich auch, es sind meine eigenen Ansprüche, meinen Kindern gerecht zu werden, die mir im Weg stehen. Vielleicht habe ich einfach schon zu viel gelesen, denke zu viel darüber nach und fühle mich deshalb manchmal so hilflos, wenn ich genau weiß, dass ich in Sachen „Erziehung“ quasi „ins Klo gegriffen habe“. Ich will es richtig machen, dabei gibt es ein Richtig gar nicht. Was ist richtig? Eigentlich könnte man nur sagen, was völlig falsch ist: Emotionslosigkeit, Desinteresse und letztlich körperliche und psychische Gewalt (sowieso ein No-Go!). Was richtig ist, wird sich von Kind zu Kind, von Beziehung zu Beziehung unterscheiden. Den richtigen Weg können wir eigentlich nur gemeinsam finden. Gemeinsam und individuell.
Warum habe ich jetzt eigentlich so viel geschrieben und euch nicht einfach nur den Workshop empfohlen? Mich hat das Thema wirklich berührt und zu einigen Gedanken inspiriert, die ich noch verbloggen möchte.
- Bei Wertschätzungszone findet ihr noch viele weitere Workshops rund um Elternschaft, familiärer Kommunikation und Beziehungsmanagement.
- Auch österreichweit findet ihr verschiedene Workshops zu diesen Themen beim FamilyLab.
- Viele Tipps und Infos zur Bindungs- und Bedürfnissorientierten Erziehung findet ihr bei Geborgen Wachsen.
- Wer sich generell schlau machen möchte, was Bindungsorientierte Erziehung bedeutet, dem möchte ich diesen Beitrag auf Der Apfelgarten ans Herz legen oder natürlich für alle Fakten rundherum Wikipedia (trockener betrachtet und wohl nicht von einem Befürworter verfasst).
- Auf derStandard.at gibt es regelmäßige Kolumnen von Jesper Juul in Zusammenarbeit mit dem FamilyLab.