Ich freue mich sehr, dass ich heute Gunter Nowak-Wohralik auf meiner Gästecouch sitzen habe. Gunter ist passionierter Trageberater und berät speziell Papas (aber natürlich auch Mütter), wie das mit dem Tragen am besten klappt. Er erzählt uns heute aus dem Nähkästchen, wie es so ist in einer Frauendomäne zu arbeiten und warum Männer mehr Tragen sollten.
Kennen gelernt habe ich Gunter übrigens zufällig bei einem beliebigen Stand bei der BabyExpo in Wien. Seine witzige und offene Art und die Tatsache, dass er in einem überwiegend weiblich dominierten Berufsfeld arbeitet hat mich neugierig gemacht. Ich bin also seiner Einladung gefolgt und habe einen Abstecher zu seinem eigenen Beratungsstand gemacht. Was sich ausgezahlt hat, denn mit Gunter lässt es sich wirklich gut Tratschen. Aber lest selbst, er hat viel zu erzählen…
Stadtmama: Was war dein Anstoß, Trageberater zu werden?
Gunter: Ganz einfach gesagt: Meine Exfrau. Sie hat die Ausbildung zur Trageberaterin vor mir begonnen. Im Zuge dessen wurde unsere Tochter natürlich auch getragen. Als neugieriger Mensch wollte ich das dann auch einmal probieren und habe die Liebe zum Tragen entdeckt. Wenn ich von etwas überzeugt bin, will ich Andere auch davon überzeugen. Und nachdem auch die Männerwelt ab und an ein wenig Emanzipation braucht habe ich beschlossen Trageberater für Männer zu werden. Was natürlich nicht heißt, dass ich keine Frauen berate 😉
S: Warum sollten auch Väter tragen?
G: Weil es in meinen Augen eine der besten Möglichkeiten ist, Bindung zu seinem Kind aufzubauen. In der Regel ist es ja so, dass der Mann arbeitet und dementsprechend verhältnismäßig weniger Zeit mit seinem Nachwuchs verbringen kann, als die Mutter. Die Nähe und das Sicherheitsgefühl, das beim Tragen vermittelt wird ist meiner Meinung nach der beste Weg das Bonding zu maximieren. Ganz abgesehen von den praktischen Aspekten.
S: Erfahrungswerte? Tragen Väter lieber im Tuch oder in der Trage?
G: Das ist pauschal schwer zu sagen. Ich erlebe auf Messen oder in Paarberatungen oft, dass der Mann die Tragehilfe bevorzugt. Schnallen und Gurte sind Elemente, die ein Mann kennt und „versteht“. Gleichzeitig springen Männer aber sehr schnell auf das Tuch an, wenn man sie einmal binden lässt und ihnen dabei auch die praktischen Vorteile erläutert.
S: Hast du deine Tochter getragen? Wie? Dein Lieblingstool?
G: Natürlich habe ich meine Tochter getragen. Um genau zu sein trage ich sie jetzt noch immer. Ich persönlich liebe das Tragetuch. Dafür gab es immer mehrere Gründe. Einerseits kann ich ein Tuch in einer Bindeweise deutlich individueller sowohl an meinen Körper, als auch an den des Kindes anpassen. Andererseits auch die Vielfältigkeit des Tuches. Ich kann mit einem Tuch ein Kind auf ganz unterschiedliche Arten tragen. Natürlich funktioniert das auch mit vielen Tragehilfen, trotzdem war für mich das Tuch immer am flexibelsten. Inzwischen ist meine Tochter 3 Jahre alt und geht meist selber. Deswegen habe ich jetzt eigentlich meistens als Backup einen Sling umgehängt.
S: Wie reagieren die Menschen auf tragende Väter?
G: Durchwegs sehr positiv. Soweit ich das einschätzen kann steigt auch die Zahl der tragenden Väter. Ich sehe zwar nicht allzu oft Tücher an den Vätern, aber „Hauptsache getragen“! Ich denke ein tragender Vater vermittelt nach außen das Bild des fürsorglichen Mannes. Also ein wenig weg von dem veralteten Rollenbild, dass der Mann das Geld verdient und die Frau die Kinder großzieht. Auch meine internationalen Kollegen haben eine sehr große „Fanbasis“.
S: Du arbeitest in einer Frauendomäne. Wie reagieren Mütter auf einen Mann als Trageberater?
G: „Eeeeecht?!? Das finde ich cool!“ ist so einer der üblichen Sätze, die ich höre. Ich werde auch schnell mal als homosexuell oder eigenartig eingestuft, weil es zugegebenermaßen ja nicht üblich ist. Natürlich habe ich auch schon Ablehnung erlebt, wobei ich das aber sehr gut akzeptieren kann. Meistens liegt es ja nicht an mir als Person, sondern an dem Umstand, dass ich in einer primär weiblichen Domäne arbeite. Egal wie tolerant unsere Gesellschaft schon geworden ist, eine Frau am Presslufthammer würde sicher auch auffallen.
S: Gibt es einen Unterschied in der Trageweise der Mütter und Väter?
G: Ja und nein. Grundsätzlich sind die Trageweisen geschlechtsunabhängig. Ich erlaube mir jetzt einmal ein wenig zu pauschalieren. Natürlich ist es immer sehr individuell. Allgemein kann man aber sagen, dass der Mann einfach anders gebaut ist. Wenn man sich die Hüften von Mann und Frau ansieht, könnte man sagen, dass das breitere Becken der Frau nicht nur wegen des Geburtsvorganges so gebaut ist, sondern auch um die Kinder zu tragen. Auf der Hüfte der Frau kann das Kind meist besser sitzen, so wird der Arm der Frau entlastet. Das verschafft den Frauen einen Vorteil bei Hüfttrageweisen. Bei Männern sind bei Männern Schultern und Rücken ausgeprägter. Das hilft natürlich dabei schwerere Kinder zu tragen, weil sozusagen rein mechanisch mehr Kraft zur Verfügung steht. Genauere Definitionen mit allen „Wenn und Abers“ würden hier deutlich den Rahmen sprengen. Ich arbeite aber regelmäßig mit Physiotherapeuten und Ärzten zusammen um die Trageweisen bei Bedarf mit kleinen Adaptionen zu optimieren.
Man darf niemandem seine Verantwortung abnehmen, aber man soll jedem helfen, seine Verantwortung zu tragen. (Heinrich Wolfgang Seidel)
S: Würdest du Männern andere Bindearten empfehlen? Welche?
G: Eigentlich nicht. Standardmäßig empfehle ich jedem zum Beginn je nach Alter der Kinder entweder die Wickelkreuztrage oder den einfachen Rucksack. Diese beiden Bindeweisen sind relativ unkompliziert und decken in meinen Augen 90% aller Situationen ab. Die Hüftbindeweisen mache ich bei Männern eher seltener. Meistens sind die Väter sowieso schon mit den oben erwähnten zufrieden.
S: Was sagst du Männern, die sich nicht trauen, ihre Kinder zu tragen?
G: Ich sage nichts, ich lasse einfach machen. Die meisten zögerlichen Väter lasse ich einmal eine Wickelkreuztrage mit der Tragepuppe binden. Männer sind meistens praxisorientiert, das mache ich mir zu Nutzen.
S: Aus Erfahrung: welche Gründe hat das oft?
G: Es beschränkt sich fast immer auf 2 Gründe: Das eine ist die Sorge um die Sicherheit des Kindes im Sinne eines Heraus- oder Hinunterfallens. Das andere ist meistens der Irrglaube, dass es zu kompliziert ist. Ab und an gibt es auch Bedenken mit einem Tragetuch „Alternativ“ zu wirken. Da schafft aber auch schon mein Outfit in der Beratung Abhilfe, weil ich meist in Jeans und Anzughemd berate. Ich bin dann also der lebende Gegenbeweis.
S: Wie kann man ihnen die Scheu nehmen?
G: Wie bereits erwähnt, lasse ich einen skeptischen Vater einmal binden. Danach bitte ich ihn ein paar Mal zu springen oder gar einen Handstand zu machen (natürlich nur mit Puppe!!!) und frage ihn dann, ob sich das sicher anfühlt. Ich hatte eigentlich noch nie das Feedback, dass jemand danach Tragen noch als unsicher empfindet. Und nebenbei kommt dann auch noch die Erkenntnis, dass Man(n) ja gerade gebunden hat und das ja gar nicht so kompliziert war.
S: Läuft eine Trageberatung für Väter anders ab als eine für Mütter?
G: Ich habe eigentlich noch nie „nur“ eine Mutter beraten, dementsprechend fällt mir die Antwort etwas schwer. Allgemein kann ich aber sagen, dass ich mit Vätern sehr viel geradliniger arbeite. Männer verarbeiten meistens Informationen ohne sie zu hinterfragen. Müsste ich es in einem Satz pauschal sagen: „Männer machen einfach mal und fragen erst hinterher.“ Bevor ich jetzt aber gelyncht werde, natürlich ist es individuell von Person zu Person unterschiedlich.
S: Hast du noch ein paar essentielle Tipps für tragende Väter?
G: So oft und so viel wie möglich. Nie entmutigen lassen, wenn einmal etwas nicht funktioniert. Selbst TrageberaterInnen und deren Kinder haben Tage, wo es einfach nicht funktionieren will. Und für mich der aller wichtigste Punkt: Herumprobieren ist gut, neue Bindeweisen aber bitte nicht nur von YouTube oder vom Hörensagen „erlernen“. Wir als Trageberater haben oft sehr viel mehr Wissen, als es auf den ersten Eindruck erscheint. Wir machen die Ausbildungen und beschäftigen uns quasi täglich mit dem Tragen. Es steckt da nicht dahinter, dass wir euch Geld aus der Tasche ziehen wollen, sondern es geht um die Ergonomie für Tragenden und Tragling beziehungsweise die Sicherheit für alle Beteiligten.
Lieber Gunter, vielen Dank, dass du dir Zeit für das Interview genommen hast!
Gunter Nowak-Wohralik ist 34 Jahre alt, Trageberater in Wien und hat seine Tochter selbst gerne und viel nach ihren Bedürfnissen getragen. Sein Ziel ist es vor allem Männern das Tragen näher zu bringen und ihnen zu zeigen, dass sie sich ruhig trauen können, auch an stereotyp weiblichen Bereichen des Familienlebens mehr teilzuhaben.
Wo findet ihr Gunter noch?
http://www.facebook.com/mantraegt
Bildquellen: Gunter Nowak-Wohralik
Respekt vor diesem Mann. Er muss auch ein guter Networker und Marketer sein, wenn er mit dem doch sehr überschaubaren Stundensatz (allen voran noch in Wien) um die Runden kommt.
Und ja, ich bin der Letzte, der sagt dass man irgendwas wegen monetären Gründen machen sollte.
Lieber Robert,
zum Stundenlohn eines Trageberaters kann ich leider nichts sagen. Ich kann mich aber erinnern, dass auch meine Trageberatung nicht deutlich teurer war vor einem Jahr. Prinzipiell würde ich aber gerade über so etwas nicht urteilen, man kennt ja die Hintergründe der Preisgestaltung nicht.
Liebe Grüße,
Judith
Also erst mal vielen Dank. Ich kann aber auch sagen, dass es vorrangig eine idealismusgetriebene Arbeit ist. Will meinen, dass da noch genug Platz nach oben ist, um davon leben zu können. Ich freue mich also über jede Weiterempfehlung.
Ich wünschte es wäre für die meisten Männer selbstverständlich. Mein Mann gehört zum Glück dazu, er findet das toll unseren kleinen im Tragetuch zu tragen. Aber ich sehe viele Freunde bei denen das leider nicht so ist. Vllt. schicke ich den Link zu diesem Artikel mal rum!
Hallo Lieke,
ja, das stimmt leider. Ich kenne aber immerhin ein paar Väter in unserem Umfeld, die auch getragen haben. Ich glaube, dass es mittlerweile auch schon eine so gute Auswahl an Tragehilfen gibt, hilft, auch Männern das Tragen näher zu bringen. Mein Mann hat sehr gerne getragen, aber eher in der Trage als im Tuch. Das war für ihn einfach das schlüssigere System und es geht natülric schneller. Die meisten Väter, die ichhie Tragen sehe, setzten scheinbar auch eher auf Tragen mit Schnallensystem.
Und ich freue mich natürlich, wenn der Beitrag die Runde macht 😉
Liebe Grüße,
Judith
Hallo. Die Babytrage eignet sich hervorragend für das Tragen. Vor allem die Komforttrage für die Kleinen. Die meisten Männer (auch ich) mögen diese Tragetücher nicht. Ich habe noch keinen Mann mit einem Tuch gesehen. Wahrscheinlich liegt es daran, dass die Tücher oft komplex zu binden sind und nicht gerade männlich aussehen.
Ich habe persönlich immer Angst gehabt diese zu tragen. Schöner Artikel. Danke.
Liebe Grüße. Alex.
Lieber Alex,
ja und nein aus meiner Laiensicht. Ich glaube, es hängt nicht mit der Optik zusammen 😉 Mein Mann hat sich schon mit dem Tragetuch versucht, aber nur ein paar Mal. Man braucht eben im Gegensatz zu Komforttragen ein bisschen Übung beim Binden und die hat man natürlich als derjenige, der seltener trägt nicht so. Ist ja auch keine Schande – Tragen wurden ja als die einfachere und schneller anlegbare Variante erfunden und sind mittlerweile ergonomisch schon sehr gut konstruiert. Ich liebe unsere Trage sehr und man muß ja auch sagen: irgendwann werden die Kinder für das Tuch sowieso zu schwer (also meine zumindest – und ich hab die jüngere viel getragen darin)
Danke für dein Feedback!
Liebe Grüße,
Judith