Weinen kann schön sein. Befreiend. Nicht, dass man permanent Weinen möchte, aber manchmal … Julia vom Blog SINN.IM.PULS hat für das heutige Adventkalender-Türchen eine wunderschöne Geschichte darüber geschrieben, wie schön Weinen sein kann. Nicht nur für die Träne selbst.
Es war einmal eine kleine Träne. Sie war klein und zufrieden. Sie wusste nicht genau wo sie hergekommen war, aber das störte sie nicht. Sie lebte und das war gut. Eines Tages hatte sie einen Wunsch, sie spürte, dass sie gerne geweint werden will. Irgendwie sind doch Tränen dafür da, eines Tages geweint zu werden, dachte sie. Die kleine Träne wollte aber nicht von irgendwem geweint werden. Sie wollte sich das gut überlegen.
Also machte sich die kleine Träne auf die Reise. Sie ging entlang neuer Wege, mit neuen Pflanzen und Blumen. Sie ruhte sich unter Bäumen aus, die sie noch nie zuvor gesehen hatte. Sie lachte mit den Tieren und war neugierig auf alles was ihr begegnete. Angst vor Monstern oder anderen Gefahren hatte sie keine. Sie spürte, dass ihre Reise, eine gute Reise werden würde. Sie vertraute auf ihren Weg.
Nun war sie schon eine Weile unterwegs, als sie am Wegesrand einen alten Mann sitzen sah. Er wirkte müde und erschöpft. Die kleine Träne, dachte, ich frag einfach mal, vielleicht will er mich ja weinen: „Ich bin eine kleine Träne und ich suche jemanden, der mich weinen möchte?“
Der alte Mann sah die fröhliche kleine Träne an und lächelte:“ Ich kann nicht mehr weinen, auch wenn ich das manchmal gerne möchte.“
Die kleine Träne wurde nun sehr neugierig und verstand nicht warum jemand nicht weinen kann. Sie fragte den alten Mann und er erzählte ihr seine Geschichte.
Als der alte Mann noch ein Kind war, konnte er gut weinen. Er weinte, wenn er wütend war oder traurig war. Wenn er etwas nicht bekam und deswegen frustriert war. Manchmal weinte er auch vor Lachen, oder weil ich ihm alles zu viel wurde. Er weinte auch, wenn er etwas vermisste oder Angst hatte. Weinen war ein Teil seines Lebens.
Die kleine Träne hörte gespannt zu, sie war noch nie geweint worden und stellte sich die ganzen Momente vor, in denen Menschen weinen. Ihr wurde ganz schwindlig vor lauten Gedanken und Vorstellungen. Es gab einfach so viele Möglichkeiten. Wie sollte sie sich jemals entscheiden, wann sie, aus welchem Grund, geweint werden will?
Sie verstand langsam, dass es viele Momente geben kann, in denen Weinen wichtig ist, aber sie verstand immer noch nicht warum der Mann dann damit aufgehört hat. Also fragte sie den alten Mann und er erzählte weiter.
Irgendwann, er war schon etwas älter, bemerkte der Mann, dass die Erwachsenen um ihn herum nicht mehr weinen und es ihnen auch sehr unangenehm war, wenn er weinte. Es wurde auch viel unternommen um ihn vom Weinen abzubringen. Er wurde angelacht, angesungen, angetanzt und mit Geschenken abgelenkt. Es war fast so als hielten die Erwachsenen seine Tränen nicht aus. Manchmal wurde er auch angeschrien oder es wurde ihm gesagt er solle doch aufhören. Er verlor sein Vertrauen in sein Weinen und weinte nur noch wenn er alleine war. Hin und wieder versteckte er sich in seinem Zelt, das in seinem Zimmer aufgebaut war und weinte. Es tat so gut, die Tränen fließen zu lassen. Doch die Gesichter der Erwachsenen, die seine Tränen nicht wollten, ließen ihn nicht los. Er weinte immer seltener, bis er es schließlich verlernte.
Die kleine Träne war nun sehr traurig. Sie wollte dem alten Mann unbedingt helfen, aber sie wusste noch nicht wie. Sie fragte den alten Mann: „Wann hast du das letzte Mal geweint?“.
Der alte Mann rechnete und dachte nach, er wusste es nicht mehr. Er hatte es einfach vergessen. So viele Jahre hatte ihn keiner danach gefragt, er wurde stutzig. Die kleine Träne fragte einfach weiter: „ Stell dir vor du könntest wieder weinen, wie wäre das dann?“.
Jetzt wurde der alte Mann richtig nachdenklich, er dachte an all die Momente in denen er weinte, als er sich das erste Mal länger von seinen Eltern verabschiedet hat als sie die Pyramiden ohne ihn besucht haben, als er sie dann wieder gesehen hat. Als er die alte Waage seiner Oma kaputt gemacht hat und sie ihm verziehen hat. An das erleichternde Gefühl, so zu sein wie man ist.
In diesem Moment fühlte sich die Träne von den alten Mann wie von einem Magneten angezogen, sie stieg auf in die Luft und blickte dem alten Mann ganz tief in die Augen, er schaute zurück und sah die kleine Träne lächelnd und zuversichtlich. Die kleine Träne kam seinem Auge immer näher, bis sie schließlich darin verschwand.
Der alte Mann blickte hinauf zum Himmel und langsam ganz langsam kullerte die Träne wieder aus seinem Auge über die Backe in seine Hand. Es folgten noch viele weitere Tränen und die kleine Träne sagte nur leise und glücklich: „ Machs gut alter Mann. Es war schön mit dir zu weinen.“
Der alte Mann lachte und weinte, er war einfach nur erleichtert und zufrieden.
Wem wollte sie nun als nächstes helfen?
Für meinen Vater, der mich immer ermutigt hat, das Weinen nicht zu verlernen.
[…] von stadtmama.at hat einige BloggerInnen eingeladen bei ihrem Geschichten Adventskalender mitzumachen. Auch ich habe eine Geschichte geschrieben, die ich hier nun auch gerne mit euch teilen […]