Für eine gesunde Sprachentwicklung brauchen Kinder vor allem eines: Erwachsene, die mit ihnen kommunizieren. Bloß, wir Erwachsene übertreiben es gelegentlich ganz gerne mal mit der Kommunikation, oder eher der Einwegkommunikation. Wir meinen es gut, keine Frage, aber manchmal lassen wir Kindern auch einfach keine Chance, ihre eigenen Worte zu finden, geschweige denn, sie auch auszusprechen.
Ich beobachte täglich, dass Erwachsene Kinder nicht aussprechen lassen. Gar nicht absichtlich, aber total unhöflich, meint ihr nicht auch? Stellt euch vor, ihr wollt etwas sagen und permanent schneidet euch euer Gegenüber euren Satz ab, weil ihr ihm zu langsam seid. Genau so geht es Kindern. Sie sagen etwas, hadern am Ende des Satzes mit den Worten und dann beendet das erwachsene Gegenüber ihren Satz. Dabei bräuchte es nur noch ein paar Sekunden länger, um die richtigen Worte zu finden. Dennoch erwarten wir von unseren Kindern, geduldiger zu sein. Wir selbst sind es sehr oft gar nicht.
Konversation mit Respekt & Wertschätzung
Dabei ist es für die Sprachentwicklung unserer Kinder wichtig, dass wir sie ausreden und ihre eigenen Worte finden lassen. Wiederholen dürfen wir es danach übrigens laut Sprachexperten gerne. Einerseits, um ihnen die Sicherheit zu geben, dass sie es richtig gemacht haben, andererseits um „unauffällig“ kleinere Fehler auszubessern und es noch einmal richtig vorzusagen. Kinder lernen in erster Linie durch Ausprobieren und eigene Fehler sowie durch Wiederholung, also auch beim Sprechen!
Das Ausreden lassen zeigt den Kindern auch euren Respekt für sie, das ist bei Erwachsenen ja nicht anders. Sie fühlen sich ernst genommen. Wir geben unseren Kindern durch das zu Ende sprechen lassen und Zuhören das Gefühl, wir hören ihnen zu und was sie sagen ist wichtig. Dauerndes Unterbrechen ist ja übrigens auch ein Verhalten, dass Erwachsene bei Kindern normalerweise als sehr unhöflich empfinden – warum sollte es also umgekehrt also eher angebracht sein?
Was wir uns sparen können: sinnfreie Monologe
Kürzlich eine ältere Dame vor uns an der Supermarkt-Kassa, als meine Tochter sich aus dem Einkaufswagen zu den Schokoriegeln streckt:“Na meine Kleine? Du willst wohl einen Schokoriegel? Kauft dir deine Mama keinen? Nein? Na das ist auch nicht gesund, sie hat schon recht, man soll nicht so viel Schokolade essen…“ Dreht sich prompt wieder um und schaut wieder in Richtung Kassiererin. Genauso gut hätte sie gegen eine Wand reden können. Die hätte ebenso viele Chancen auf eine Interaktion mit ihr gehabt wie meine Tochter in dieser sinnbefreiten Konversation, in der sie ihrem Gegenüber (meiner Tochter) keine Chance auf Kommunikation gegeben hat. Und dabei kann meine Tochter schon ganz gut Konversationen führen, man müsste sie nur lassen.
Recht ausführliche Konversation kann schon mit jüngeren Kindern gut funktionieren, mit einer Fünfjährigen kann es sogar die Erkenntnis bringen, wie gut meine Tochter bereits darin ist, Problemlösungen zu finden, wenn man sie einfach machen lässt.
Ausreden lassen
Kürzlich kommt das kleine Fräulein aus dem Kindergarten nach Hause und erzählt:“A. hat mich geschubst und Baby zu mir gesagt!“ (Ich weiß, das kränkt sie)
Ich:“hmmm, hat er das?“
Sie:“Ja, total gemein.“
Ich:“hmmm“ und nicke.
Sie denkt nach:“Das nächste Mal sag ich ihm, dass ich das nicht mag.“
Ich habe ihr gar nicht gesagt, wie sie die Situation lösen kann und habe sie nicht unterbrochen. Sie hat noch während sie es mir erzählt hat darüber nachgedacht und sich eine eigene Lösung überlegt, ohne dass ich ihr eine Lösung vorgekaut hätte. Sie ist zufrieden mit dem Ergebnis und mit sich selbst. Ich war erstaunt. Eigentlich war es ein Versuch, von dem ich mit noch nicht allzu viel erwartet habe. Wenn sie und ihre Schwester sich beschimpfen, ist bisher keiner von beiden selbst eine Lösung eingefallen.
Wenn wir nicht, bis die Kinder ausziehen, Selbstgespräche führen sondern mit ihnen kommunizieren wollen, müssen wir unseren Kindern auch die Chance geben, Antworten selbst zu finden um sie geben zu können. Das hilft ihnen übrigens auch nachhaltiger, denn eine gute Gesprächskultur können Kinder nicht einfach so, sondern die lernen sie von uns. Wenn wir sie und andere Erwachsene gerne und oft unterbrechen, werden sie es nicht anders machen.
Zuhören
Ein Soft Skill, dass wir unser Leben lang gut gebrauchen können – in der Schule, in Freundschaften, in Liebesbeziehungen, in der Arbeit , … . Kinder sind vielleicht noch nicht so geduldig wie Erwachsene, aber wir sind die ersten, die ihnen zeigen, wie das geht. Zuhören bedeutet, sich nicht nur äußerlich dem Gegenüber zuzuwenden sondern auch innerlich. Wir geben Zeichen, dass wir verstehen, es reicht ein „aha“ oder „hmm“, wie in meinem Beispiel oben. Ich denke, ihr kennt alle die Regeln für eine gelungene Konversation, ihr wendet sie täglich an. Wir müssen unseren Kindern aber erst zeigen, wie das geht. Tun wir es nicht, werden sie es bei andern auch nicht tun, weil sie es nicht besser wissen. Auch bei euch nicht. Übrigens werden sie sich in dem Fall mit 16 auch nicht mehr darauf verlassen, dass ihr ihnen zuhört. Wenn ihr ihnen jetzt zutraut, eine (vertrauensvolle und respektvolle) Konversation mit euch zu führen, werden sie es auch in der Pubertät noch tun.
Da hast Du echt einen Punkt getroffen! Schlimm finde ich nicht nur, dass Kindern ständig über den Mund gefahren wird, sondern mit ihnen oft auch bis ins höhere Alter im „Babyton“ gesprochen wird……. dabei entwickeln sie sich so viel besser, wenn man sich ganz normal mit ihnen unterhält……
Ja, das ist mir leider auch schon oft aufgefallen. Und natürlich bin ich mir bewusst, dass es nervt, wenn ein Kind permanent an deinem Ärmel zieht und etwas will (ich hab ja auch zwei davon zu Hause …). Aber man vergisst so schnell, dass man das selbst auch macht. Und es ist bei Erwachsenen wirklich nur Angewohnheit. Mir ist das schon aufgefallen, bevor ich Kinder hatte und ich versuche immer noch, es mir gänzlich abzugewöhnen. Und dabei sollten Erwachsene ihre Ungeduld eigentlich schon im Griff haben (im Gegensatz zu Kindern, die das erwiesenermaßen von der Gehirnentwicklung her erst ab ca. sechs Jahren können).
Und das mit der Babysprache .. na ja. Hab ich nie gemacht und fand ich irgendwie immer schon steil … haha. Als die Große noch ganz klein war, hab ich sie durch die Gegend kutschiert und hab sie ganz normal (Tonfall, Lautstärke) vollgequatscht.Die Leute haben das immer recht seltsam gefunden.
Super Post! Ich habe zwar keine Kinder aber Neffen und Nichte und da fällt es mir sehr oft auf ‚Sei mal still wir reden jetzt‘. Und ganz wichtig finde ich , dass Kinder Konflikte selbst lösen und sich auseinandersetzen. Sehr schön geschrieben 🙂 Ich habe mir als Kind angewöhnt sehr schnell zu reden, weil ich immer Angst hatte, dass ich meine Geschichte oder das was ich zu sagen hatte, nicht fertig erzählen kann. Dabei erwische ich mich heute noch weil ich es hasse, unterbrochen zu werden 🙁
Liebe Grüße Nadine von tantedine.de
Liebe Nadine,
OMG – jetzt wo du es erwähnst. Vielleicht rede ich deshalb oft auch so schnell … Das gibt mir zu denken. Danke für das schöne Feedback! In Sachen Konflikte selbst lösen versucht ich noch herauszufinden, wann der richtige Zeitpunkt ist einzugreifen. Das ist wirklich sehr schwierig. Ich versuche es, sie viele Dinge selbst lösen zu lassen und zweifle ganz oft an meinen Entscheidungen in dieser Sache.
Liebe Grüße,
Judith
Sehr schön erkannt, wie wichtig das ist. Ich weiß es gar nicht genau, aber ich hoffe, ich lasse meinen Sohn immer fertig reden. Werde mal drauf achten. Was ich weiß ist, in letzter Zeit kommt öfter von ihm „Mamaaa“, mit diesem langgezogenen fragenden A am Ende, ich sage dann Jaaaa? Und es kommt nichts. Nada. Niente. Ich also nochmal: Jaaaaaaaaa? Nichts. Da möchte ich schon oft sagen „HALLO – kommt da jetzt noch was, oder nicht???“ 😀
Liebe Mireya,
haha. Ja. ALso das heißt ja nun auch nicht, dass immer etwas kommt. Aber wenn du es beobachtesst (das hab ich auch gemacht)=, fällt die sicher ab und an auf, ass du ihm ins Wort fällst. Ich glaube, das ist einfach zu verführerisch. Ist bei mir wenigstens so. Man ist halt oft schneller, wenn man sich Fragen selbst beantwortet. Bei Erwachsenen wü+rde man das ja nicht machen.
Liebe Grüße,
Judith