„Konsequenz ist so wichtig in der Erziehung!“ Na, schon mal gehört? Oder:“Wenn du nicht konsequent bist, dann tanzen sie dir irgendwann mal auf der Nase rum …“ Offenbar ist Konsequenz einer der Grundwerte der Erziehung, der Eltern erfolgreich eingeimpft wird. Konsequenz und damit auch Konsequenzen. Aber was, wenn man nicht immer konsequent ist oder überhaupt nicht (im Sinne des allgemeinen Verständnisses)?
Ich habe Erziehungs-Expertin Vera Rosenauer von Abenteuer Erziehung gefragt, wie wichtig Konsequenz denn ihrer Erfahrung nach nun eigentlich wirklich ist in der Erziehung und weil sie bei diesem Thema auch immer sehr schmunzeln muß, war sie sehr gerne bereit, mir meine Fragen zu beantworten.
Vera über Konsequenz als Thema bei Eltern …
In meinen Mama-Gruppen höre ich ganz oft:
„Da müsste ich eigentlich konsequenter sein!“
oder
„Ich weiß, da bin ich viel zu wenig konsequent!“
Konsequenz gilt allgemein als unheimlich wichtig im Umgang mit Kindern, ist aber ganz offenbar schwer lebbar und verursacht Stress (unnötigen, wie wir noch sehen werden!) und schlechtes Gewissen bei Müttern.
Deshalb bin ich Judith für ihre Frage auch sehr dankbar und hoffe, dass ich mit meinen Worten ein Stück Entlastung für Mamas schaffen kann.
Konsequenz: was ist das, wovon sprechen wir? (Definition)
Konsequẹnt ist ein Adjektiv mit zwei potentiellen Bedeutungen
- logisch zwingend, folgerichtig
Beispiel: „Wer unter die Dusche geht, wird nass“
- unbeirrbar, beharrlich
Beispiel: „Nicht aufgeben, bis das Puzzle fertig ist“
Das Substantiv „Konsequenzen“ im Sinne von Folgen, oft falsch verstanden oder gleichgesetzt mit Strafe lasse ich heute außen vor, darum wird es nicht gehen.
Was uns natürlich bei der Beantwortung bei der Frage nach dem „Wie viel konsequent sein?“ fehlt ist die Maßeinheit.
Konsequent sein lässt sich nicht messen.
Wäre schön, wenn wir das im Supermarkt bei der Feinkost bestellen könnten:
Mama: „10 dag Konsequenz, aufgeschnitten bitte!“
Verkäufer: „Möchten Sie noch etwas Gelassenheit dazu, wäre gerade im Sonderangebot, die Familienpackung um 10,- Euro!“
Wo bist du bereits konsequent?
Allen, die sich mit dem schlechten Gewissen wegen fehlender Konsequenz abmühen, empfehle ich sich selbst mal diese Frage zu beantworten. Nimm dir dazu gerne einen Zettel und schreib dir deine Antworten auf. Also: wo bist du bereits konsequent?
Ich bin zum Beispiel sicher, dass du dein Kind konsequent lieb hast!
Du liebst wahrscheinlich nicht jede seiner Verhaltensweisen, das ist auch gar nicht notwendig.
Aber dein Kind als Person liebst du, egal was passiert.
Bestimmt hast du noch viele andere Beispiele in deinem Alltag, in denen du konsequent handelst:
- Als erstes in der Früh machst du …. , danach …..(Passendes bitte einsetzen)
- Du wäschst dir nach dem Heimkommen die Hände
- Du erledigst deine Einkäufe in denselben Geschäften
- Du sitzt immer am selben Platz beim Esstisch
- Dein Kühlschrank ist in derselben Systematik wie immer geschlichtet
- ….
Du wirst merken, dass du bereits viel konsequenter bist als du vielleicht annimmst.
Wie weit soll/kann/darf Konsequenz gehen?
Konsequenz sollte uns das Leben erleichtern und keinesfalls einengen.
Den Wohnungsschlüssel konsequent aufs Schlüsselbrett zu hängen, spart viel Zeit, weil du ihn nicht suchen musst.
Und da würde ich auch die Grenze der Sinnhaftigkeit von Konsequenz ziehen. Dann, wenn sie beginnt das Leben einzuschränken.
Wenn das Einschlafritual, das lange Zeit hilfreich war, weil es konsequent (im Sinne von unbeirrbar und damit auch verlässlich!) durchgeführt wurde, mühsam wird, weil das Kind rausgewachsen ist – dann ist es Zeit es konsequent (im Sinne von logisch zwingend) zu ändern.
Wobei wir da – wie du siehst – sehr konsequent bleiben, dem Wort nur eine andere Bedeutung geben.
Du darfst für dich selbst überlegen, was dir so wichtig ist, dass du es konsequent (= beharrlich) verfolgst. Wenn dir etwas nicht so wichtig ist, braucht es auch keine Konsequenz!
Übrigens kann man auch konsequent inkonsequent sein – was auch gleich zur nächsten Frage führt.
Kann man bedürfnisorientiert konsequent sein?
Ja, kann man – braucht vielleicht etwas Übung!
Dazu ist es in erster Linie wichtig, Bedürfnisse von Wünschen zu unterscheiden.
Ein Bedürfnis ist immer richtig und verschwindet wieder, wenn es erfüllt ist. Jedem Wunsch liegt auch bestimmt ein Bedürfnis zugrunde und da braucht es manchmal etwas Nachdenken, welches das sein könnte.
Jesper Juul hat das sehr schön auf den Punkt gebracht: „Wenn ein Kind ein Eis möchte, dann möchte es ein Eis und Aufmerksamkeit. Auf das Eis kann es notfalls auch verzichten.“
Ein sehr schönes Beispiel an bedürfnisorientierter, kreativer Konsequenz ist für mich Judiths Artikel übers Zähne putzen bei Kindern.
Konsequenz und bedürfnisorientiert widerspricht sich nur dann, wenn konsequent sein mit streng oder autoritär gleichgesetzt wird.
Muss man dann nicht Angst haben, das Kind tanzt einem auf der Nase herum, wenn man nicht immer konsequent ist?
„Wenn ich einmal nachgebe, dann habe ich verloren!“
Die große Angst der Eltern vor dem Nachgeben …
Natürlich fragt das Kind beim nächsten Mal nach, wenn eine Ausnahme gemacht wurde.
Vor allem wenn die Ausnahme für das Kind sehr angenehm war, es zum Beispiel ein zweites Eis am Tag bekommen hat, weil es heute besonders heiß war.
Diese Nachfrage spricht für mich aber eher für die Intelligenz des Kindes als für die Inkonsequenz der Eltern und ist somit begrüßenswert.
Wie heißt es so schön?
Ausnahmen bestätigen die Regel!
Wovon sonst sollte ich eine Ausnahme machen als von einer fix verankerten Regel?
Stelle die Ausnahme aber immer auch verbal dar, damit es dem Kind bewusst wird, das es jetzt ein spezieller Moment ist:
„Normalerweise gibt es kein …, aber weil es heute …. machen wir eine Ausnahme!“
Das geht auch ein bisschen in die Richtung positives Eltern-Marketing. Wir Menschen nehmen das Negative meist viel stärker wahr und schätzen das Positive als nicht so besonders erwähnenswert …
Stadtmama: Also, Vera, wie viel Konsequenz ist jetzt nötig und wie viele Ausnahmen möglich?
Wie schon angesprochen, fehlt uns die Maßeinheit.
Aber wir können uns mit dem guten alten Pareto-Prinzip weiterhelfen:
- Wenn du dich zu 80% an die Regeln hältst, kannst du 20% Ausnahmen machen.
- Wenn du zu 80% kindgerechte und altersadäquate Erklärungen zu deinen gesetzten Grenzen abgibst, darf es zu 20% auch ein „Weil ich es so sage“ sein.
- Wenn du deinem Kind zu 80% gesunde Gerichte anbietest, sind 20% Süßes und (meist so heißbegehrter) Junk ok.
Fazit
100%ige Konsequenz ist praktisch nicht lebbar – du allein entscheidest, wann, wo und in welcher Sache dir Konsequenz wichtig ist und da darfst du dann auch gerne aufs Pareto-Prinzip zurückgreifen 😉
Über Vera
Vera begleitet mit Abenteuer Erziehung Müttern von Babys und Kleinkindern in allen Fragen der Erziehung und Ernährung in Form von Blogartikeln, Online-Kursen und auch persönlicher Beratung. Bei Abenteuer Erziehung bekommst du die nötige Ausrüstung, mit der du dein persönliches Abenteuer Familienleben gelassen meisterst.
Lese-Tipp
Veras Blog ist ein absoluter Lese-Tipp! Hier findet ihr unzählige Beiträge aus allen Bereichen des bedürfnisorientierten, modernen Aufwachsens und Begleitens.
Spannend… einzig die Begründung „Weil ich es so sage“ halte ich in keinem
Fall für angebracht. Sobald das als Elternteil mein einziger Grund ist, sollte ich ganz dringend nochmal drüber nachdenken, ob die Handlungsanweisung/Grenze, die ich hier gerade gesetzt hab, tatsächlich berechtigt oder absolut willkürlich ist. Wenn der Grund ehrlich „Weil ich es sage“ (und zB nicht etwa – wie so oft – meine eigene Angst) ist, tippe ich auf zweites. Passt mit einen gleichwürdigen Blick aufs Kind für mich persönlich nicht zusammen. Vielleicht hat Vera ja Lust zu antworten, mich würde ihre Sichtweise interessieren.
„…mit eineM gleichwürdigen Blick“ meinte ich natürlich. 🙂
Liebe Jeannine,
ich habe das mal an Vera weitergeleitet. Ich muß sagen, ich habe das etwas anders verstanden. Wir sind ja nicht immer alle so gelassen, wie wir wollen und diesen „Weil ich es so sage“ entsteht hier zum Beispiel manchmal nicht einmal aus eigenen Ängsten, sich einer tatsächlich begründeten Aussage zu stellen, sondern aus „mir geht jetzt alles auf den Keks und eigentlich will ich nicht mehr weil meine Geduld schon am Ende ist und ich weiß, es ist nicht ideal, aber es ist mir jetzt grad einfach „Kacke“…“ Und nein, das ist so natürlich prinzipiell nicht in Ordnung. Aber ich habe es so verstanden, dass auch das mal authentisch ok ist und wenn mein Handeln dafür zu 80 Prozent altersadequat und gleichwürdig ist (wie im Text beschrieben), ist es aushaltbar. Weil zeig mir den Menschen, dem nie ein Ausrutscher passiert und wenn,dann muß ich mich für das „ist halt so, weil ich das will“ entschuldigen. Passiert …. auch mir und das, obwohl ich nach zwei Kindern schon sehr geduldig bin. Sehr, sehr … aber erst heute wars aufgrund der Hitze, meines Schwangerschaftsbauches und dem (vermutlich auch wegen der Hitze) völlig durchgedrehten Verhaltens der Kinder echt an der Grenze und da war es fast auch schon ein „weil ich es sage“, ich hab mich dann allerdings sinnvollerweise mit einem: „ich will, dass du das schnell machst und es geht mir auf die Nerven, dass du so rumtrödelst, weil ich einfach schon viel zu müde bin, um zu warten oder zu diskutieren. Ich will mich hinsetzen und kann nicht mehr“ gerettet, was definitiv der Wahrheit entsprochen hat, auch wenn es schon nicht mehr so nett war. Ansonsten wäre es nämlich auch ein „weil ich es so will“ geworden. Aber ich bin gespannt, was Vera dazu sagt.
LG,
Judith
Liebe Jeannine, vielen Dank, du hast recht, meine flapsige Formulierung kann falsch verstanden werden.
Ich meinte damit, dass Kinder akzeptieren, dass sie nicht in 100% aller Fälle eine Erklärung bekommen, weil sie durch die 80% gelernt haben, dass die Mama nicht einfach aus Spaß an der Freude Grenzen setzt oder etwas von mir verlangt, sondern weil sie sich etwas dazu überlegt hat und das auch begründen kann/könnte.
Es soll natürlich nicht so sein, dass das „Weil ich es so sage“ der einzige Grund ist – bemerke ich das, ist es Zeit nach zu forschen, woher das kommt. Das mache ich mit den Teilnehmerinnen übrigens immer im Workshop „Partnerschaftlich kommunizieren mit Kindern“ und da kommen wir meistens drauf, dass sich rund 80% der potentiell gesetzten Grenzen in Luft auflösen. (Das kann aber oft etwas dauern, bis man wirklich draufkommt, was der Ursprung eines „Weil ich es sage“ ist – wird ein Glaubenssatz getriggert, ein Erlebnis aus der Kindheit, … )
Ich möchte damit vor allem den Mamas den Stress nehmen zu jeder Sekunde eine adäquate Erklärung parat haben zu müssen – ich kann sie bei Bedarf auch nachliefern, wenn ich etwas Zeit zum Erholen (so wie Judith oben die Situation beschreibt!) oder zur Selbstreflexion hatte.
Liebe Grüße, Vera
Danke Vera, ich glaube so ähnlich habe ich das auch verstanden 😉
Konsequenz bedeutet, dass man auf gleiche Situationen auch immer gleich reagiert und sich dabei auch mit seinem*r Partner*in einig ist. Du solltest dir also einfach vorher überlegen, was deine Reaktion auf eine bestimmte Situation war/ist und dabei bleiben. Ich bin mittlerweile Mutter einer 14jährigen und stelle fest, dass dieses Konzept wunderbar funktioniert.
Hm, ich glaube, da bin ich nur teils mit dir einer Meinung. Ja in Sachen bestimmte Reaktion auf bestimmte Situationen, ABER: ich bin in einigen Dingen nicht mit meinem Partner einer Meinung und denke, dass die Kinder auch damit umgehen lernen müssen, dass bei Mama manchmal etwas anders läuft als bei Papa. Wir können uns nämlich nicht immer beide in die gleiche Richtung verbiegen, wenn es nicht unsere ist. Aber prinzipiell ja. Ich habe hier auch schon angemerkt, dass wir ein paar Dinge einfach vorher absprechen müssen, bevor wir sie an die Kinder kommunizieren.
Ich denke die Einigkeit der Eltern ist vor allem bei „großen“ vorhersehbaren Themen gefragt, wenn es zum Beispiel ums Schnuller abgewöhnen geht oder bei größeren Kindern um Ausgehzeiten. Sonst halte ich es sogar für sehr gut, wenn die Kinder merken, dass Mama und Papa teilweise anders ticken, manchmal unterschiedliche Grenzen setzen, weil sie eben in manchen Dingen unterschiedliche Bedürfnisse haben.
Tja, und was die großen Themen sind, das muss jedes Elternpaar für sich klären, das werden in jeder Familie andere sein …
Dein Beitrag lest sich sehr leicht und locker, ich mag deinen frischen Schreibstiel! Ein Experteninterview mal so zu bringen ist echt anders!
Inhaltlich mag ich den Blick auf das Positive („du bist bereits sehr oft konsequent“) und die Herangehensweise, das Thema mit viel Hausverstand (Pareto Prinzip) zu lösen … in der Feinkostabteilung würde sich der auch gut machen!
Liebe Ingrid,
danke dir! Ich mag Veras Stil auch sehr!
Alles Liebe,
Judith
Hi!
Danke für den Beitrag! Was mir ein bissl fehlt, ist die Konsequenz innerhalb einer Situation. Also ich denke, dass die Kinder anfangen, einem “ auf der Nase herumzutanzen“, wenn man wiederholt seine Ansage ändert bzw. nachgibt. Ich glaube nicht, dass man starre Regeln braucht, sondern sehrwohl situationsbedingt agieren kann, dann aber zu seiner Entscheidung auch stehen sollte.
Nein, ich denke, das würde das Kind auch verwirren. Es ist ja ein Gastbeitrag, allerdings spiegelt er auch meine Meinung überwiegend wider. Wir müssen situationsbedingt reagieren, sonst wäre es nicht nachvollziehbar für Kinder. Zusätzlich kann man natürlich nicht einmal zu etwas „ja“ und dann plötzlich „nein“ sagen. Wobei ich zugebe, wir sagen viel zu oft „nein“ wo es gar nicht notwendig wäre.
Liebe Sabine – danke für deine Ergänzung! Genau deshalb empfehle ich immer auch gerne lieber mal einen Atemzug länger nachdenken, ob jetzt ein Ja oder ein Nein notwendig ist, so dass man es authentisch vertreten kann. Und wenn einem manchmal ein „reflexhaftes Nein“ rausrutscht, darf man es auch wieder revidieren und dem Kind sagen „Ich hab nochmal drüber nachgedacht und mich nun anders entschieden!“ Das hat für mich nichts mit nachgeben zu tun, sondern mit Ehrlichkeit und führt nicht zum gefürchteten „auf der Nase herumtanzen“ Alles Liebe, Vera