Spielen. Wann habt ihr das zuletzt gemacht? Ohne Hintergedanke, ohne Wettbewerb, ohne bestimmtes Ziel oder Thema. Einfach so. Als Erwachsene sicher lange nicht mehr. Bei Kindern ist das völlig anders. Kinder brauchen das Spiel wie Nahrung und Luft.
Ist schon lange her, dass ihr gespielt habt wie Kinder, vermute ich. Erwachsene spielen nicht mehr. Nicht wie Kinder, sondern wie Erwachsene eben. Wir brauchen ein Ziel, einen Wettbewerb, ein Siegesgefühl. Würde man euch nach einem Spielenachmittag fragen: „Und, was hast du gemacht? War es lustig?“, könntet ihr genau beschreiben, was euch Spaß gemacht hat. Auf jeden Fall war es aber sicher nicht „nichts“ Was Erwachsene unter „Spielen“ verstehen ist grundverschieden zu dem wie Kinder spielen, lässt man sie einfach machen. Dabei wäre es gar nicht so schwer. Oder vielleicht doch, denn je älter wir werden, desto mehr verlieren wir diese Fähigkeit.
Kinder können spielen ohne irgendetwas zu machen. Wenigstens nichts, was wir tun würden. Sie können stundenlang einer Ameisenstraße zusehen, die sich quer über das Gemüsebeet schlängelt, zählen Schnecken in der Wiese, Blätter an den Bäumen, liegen da und starren in die Wolken und tun unserem Ermessen nach einfach nichts. Fragt man sie danach, was sie getan haben, lautet ihre Antwort vielleicht sogar genau so. Vermutlich waren sie gewissermaßen im „Flow“, gefesselt von den Dingen, die sie gerade tun, ohne zu bemerken, wie die Zeit vergeht. Vielleicht kreuzt dann auch noch eine Taube ihren Weg, die gefangen werden will.
Deshalb halte ich Erwachsene unter normalen Bedingungen eigentlich für ungeeignete Spielgefährten. Halbherzig stimmen wir zu, Prinzessin und Prinz zu spielen oder probieren gekünstelt den in der Kinderküche gebackenen Kuchen. Ich kann ihnen die Welt zeigen, ihnen helfen, sich zu Recht zu finden, sie beschützen, sie stärken aber eine wirklich gute Spielgefährtin bin ich eigentlich nicht. Meistens. Denn manchmal balgen wir am Boden herum, kitzeln uns gegenseitig, bis wir flach liegen vor lauter Lachen und spielen Fangen auf allen Vieren. Wir befühlen gegenseitig unsere Gesichter, kuscheln und schubsen uns weg. Ich vergesse, dass es beim Spielen um etwas geht. Niemand muß eine Sechs würfeln oder zuerst im Ziel sein. Wir begegnen uns auf Augenhöhe, spielen keine Rolle, sind einfach nur ein Rudel Menschen, das herumtollt.
Inspiriert zu diesem Beitrag hat mich übrigens 2016 ein Interview von Nicole von Netzwerk des Lebens mit O. Fred Donaldson im Rahmen ihres Online Kongresses AufDecken HinSpüren (Schwierige Kinder). Donaldson beschäftigt sich seit rund 30 Jahren mit dem sogenannten Original Play (Ursprüngliches Spiel) und hat bereits mit tausenden Kindern und auch Tieren gespielt. Vier Wochen zuvor durften wir (die Kinder und ich) zufällig an einer Einheit Original Play teilnehmen. Diese Art des Spielens ähnelt stark dem, was viele von uns vielleicht manchmal sowieso intuitiv mit ihren Kindern tun: auf Augenhöhe Herumtollen, konzentriert nur aufeinander und auf die Bedürfnisse des anderen. Gewaltfrei und zwanglos.
O. Fred Donaldson bezeichnet Original Play als eine andere Möglichkeit zu Spielen, abseits des Spiels, das Erwachsene Kindern vermitteln:
„Es ist ein Geschenk der Natur an uns. Alle Tiere haben es intuitiv. Wir können entscheiden, es zu nutzen. Wir wissen eigentlich gar nicht, dass es existiert, es wurde uns von Kindern und Tieren gezeigt. Wie eine andere Realität für Erwachsene.“
Je kleiner meine Kinder waren, desto häufiger und intuitiver haben sie das Spiel selbst angeregt. Schade, mittlerweile kommt es selten vor. Manchmal teste ich, ob sie darauf eingehen, manchmal habe ich Lust, mich auf dem Boden zu kugeln. Ich habe das Gefühl, sie verlernen es, je mehr sie in unsere Erwachsenenwelt hineinrutschen und es bevorzugen Rollen nachzuspielen. Mama, Papa, Baby, Prinzessin, Fee, Bauarbeiter, Feuerwehrfrau oder was auch immer gerade aktuell ist. Bietet man es ihnen an, ist es aber sofort wieder in ihnen. Zwei Minuten, fünf Minuten, ganz egal. Zwischen dem Staubsaugen und Geschirr einräumen hat ein kurzes Spiel Platz.
Achtsamkeits-Übung: Berührt euch!
Übung für Partner
Kinder spielen oft sehr körperlich und berühren sich viel unbedarfter als Erwachsene. Um das selbst auch als Erwachsener einmal in entspannter Atmosphäre zu erfahren braucht es eigentlich nicht viel. Setzt euch als Übung eurem Partner gegenüber hin, atmet tief durch, entspannt euch. Legt dann ruhig und gelassen die Hände auf das Gesicht des anderen. Fühlt seine/ihre Haut, fühlt die Energie des anderen und gebt sie zurück. Schaut und erfühlt, was euer Partner braucht. Vielleicht eine Kopfmassage oder einfach nur eine Umarmung.
Übung für Kinder
Diese Übung, die für Kinder ja eigentlich „Spielen“ bedeutet, funktioniert natürlich auch mit Kindern. Legt euch neben euren Kindern auf dem Rücken am Boden hin. Wartet eine Weile, sie werden bestimmt kommen, werden mit ihren Händen euer Gesicht erkunden, euch durch die Haare fahren und euch vielleicht zu Kitzeln versuchen. Vielleicht sprechen sie dabei nicht einmal, aber sie werden es mögen und entspannt in ihrem Erkundungs-Spiel versinken. Kindern haben die weit verbreitete Scheu vor Berührungen noch nicht verinnerlicht, sie werden es genießen und einfach im Tun versinken.
Menschen brauchen die Berührung des anderen und trotzdem berühren die meisten von uns sehr selten andere Menchen, sieht man einmal vom optionalen Handschlag bei der Begrüßung ab. Das geht sogar so weit, dass wir Menschen, die sich näher an andere heranwagen und euch auch mal am Arm oder an der Schulter anfassen abwehrend als „touchy“ bezeichnen. Wir sind so entwöhnt von Berührungen, dass uns so ein Verhalten schon geradezu unangenehm ist. Vielleicht sollte uns das zu denken geben …
PS: Dieser Beitrag ist ein Update meines Artikels aus dem Sommer 2016. Das Thema Spielen liegt mir am Herzen, weshalb ich beschlossen habe, ihn wieder ganz nach vorne zu holen. Original Play Info-Abende, Workshops und Ausbildungen finden sowohl in Österreich als auch Deutschland regelmäßig statt. Klickt euch einfach durch die Links weiter unten durch.
Weiterlesen
Wenn ich euer Interesse für Original Play geweckt habe, schaut doch auf der Seite des Österreichischen Vereins vorbei. Dort gibt es neben Workshops und Ausbildung auch ein Angebot zum Spielen als Teilnehmer. Es gibt auch einiges an weiterführender Literatur, unter anderem einen Auszug aus O. Fred Donaldsons Buch Von Herzen spielen: Die Grundlagen des ursprünglichen Spiels (Mit Kindern wachsen)*.
Wer den von Netzwerk des Lebens organisierten Kongress zum Thema „Schwierige Kinder“ mit vielen sehr hörenswert Interviews verpasst hat, kann sich auch im nachhinein noch alle Infos und Interviews im Kongresspaket holen.
*Amazon Partner-Link: Wenn ihr über diesen Link einkauft, unterstützt ihr meine Arbeit!
Original Play kann ich nur empfehlen hab vor langem einen WS besucht genial.
Danke f den Beitrag
[…] Texte rund um die Themen Eltern – Kinder – Familie und Angebote zu diversen Workshops. Achtsamkeit und individuelle Ansätze sind hier wichtiger als generelle So-Muss-Das Lösungen. Dahinter steckt […]
Um ehrlich zu sein, ist es bei uns doch etwas anders. Die Spielvorstellungen meines inneren Kindes und die meines Vierjährigen passen nicht zusammen. Ich würde gern freie Geschichten spielen oder was pontan aus der Phantasie heraus bauen und damit spielen, in die Natur gehen und beobachten ohne Ziel usw. aber mein Sohn scheint dazu geringe Vorstellungen zu haben. Es ist für mich oft zäh und schwer seine Vorstellungen aufzugreifen, die mir ein beschränktes Gefühl vermitteln. Oft ist es nur ein Nachspielen von Geschichten und dann sagt er mir auch noch, was ich zu sagen und zu tun habe. Das hemmt meine Spielfreude immens. Aber es stimmt, dass er ein großes Berührungsbedürfnis hat. Damit werde ich mich auf jeden Fall mal ganz bewusst beschäftigen!
Liebe Sabine,
ich glaube, das ist völlig normal. Mir ist heute am Spielplatz erst aufgefallen, dass die Kinder (in dem Fall habe ich Mädchen beobachtet und da habe ich den Vergleich ja direkt …) offenbar immer sehr ähnliche Geschichten nachspielen. Ich habe noch zu meinem Mann gesagt:“Na ofenbar spielen die Mädchen in dem ALter alle das gleiche: Prinzessin, Fee und Einhorn …“ Auch unsere Große sagt ihrer Schwester oft, welchen Charakter sie zu spielen hat und manchmal auch, was sie dann tut oder sagt. Und ich kenne das auch von ihrer älteren Cousine … so genau habe ich mich noch nicht damit beschäftigt, aber ich nehme an, dass sie natürlich auch hier am liebsten nachspielen, was sie schon kennen (aus Geschichten, Serien usw. …) so wie sie es mit Alltagssituationen machen.
Liebe Grüße,
Judith
Danke schön, habe schon viel über original play gelesen, aber so fein und sinnvoll auf den Punkt gebracht hat es meiner Meinung nach bisher kein Artikel!
Freue mich immer wieder davon zu hören, dass mehr Achtsamkeit in Kinderzimmern statt finden kann und Eltern und Kinder mal im Moment ankommen können. Für uns ein echtes Anti-Aging und Auftanken für alle und für die Kinder eine wundervolle Gelegenheit Erwachsenen auf einer Ebene zu begegnen, die in unserer Gesellschaft eigentlich überhaupt nicht gelebt wird.
Mehr Angebote als original play gibt es übrigens für achtsame Umgebungen momentan noch nach Pikler (Spielraum oder Krabbelkurse bis 3 Jahre) oder Hengstenberg ab Vorschulalter, in denen erwartungsfrei und bedürfnisorientiert eine Auszeit vom Alltag genommen werden kann.
Freue mich, mehr zu lesen!
Christine aus Frankfurt
Liebe Christine,
danke dir für das Feedback! Und danke für die weiteren Tipps. Da allgemein das Thema Achtsamkeit gefühlt auch gerade ziemlich boomt (soweit ich es in der Bloglandschaft und bei Online-Angeboten sehe), hoffe ich sowieso, dass das auch ein wenig den generellen Umgang von uns untereinander beeinflusst. Es wird ja generell Zeit, dass unser Leben ein wenig entschleunigt wird und ich muß gestehen, dass Kinder gerade dafür ein guter „Einstieg“ sind. Zumindest war es bei mir/uns so. Zuerst war ich furchtbar gestreßt und überfordert und dann habe ich begonnen, mir Gedanken zu machen, wie ich unser Leben ein wenig umgestalten kann. Ohne Kinder hätte ich für diese Gedanken sicher noch ein paar Jahre länger gebraucht. Für mich steht Original Play fr 2018 auf jeden Fall wieder am Plan – ich bin ganz froh, dass ich es dieses Jahr noch nicht angegangen bin. Schwanger wäre es zu viel für mich gewesen, vermute ich. Ich gebe dir nämlich recht, es gibt auch uns Erwachsenen eine ganz neue Gelegenheit zur Begegnung und auch zur Selbsterfahrung.
Alles Liebe,
Judith
Ach wie schön zusammengefasst ❤. Manchmal kann ich noch im Spiel versinken…passiert aber zu wenig…muss mir das Seminar mal angucken glg
Oh ja – schau dir das unbedingt an! Findet glaube ich bei uns auch nur einmal im Jahr statt. Ich werde es diesen Herbst nicht machen, weil ich es mit Baby im ersten Jahr einfach nicht schaffen werde. Leider. Zur Ausbildung gehören dann nämlich auch viele „Übungsstunden“ innerhalb eines Jahres. Aber gut, kommt ein neues Jahr, kommen neue Herausforderungen 😉
Alles Liebe!