Kinder sind wissbegierig und lernen durch Versuch und Irrtum. Sie müssen sogar zuerst Dinge selbst ausprobieren dürfen (=Versuch) und über Fehler zum Erfolg gelangen. Nur so kommen sie am Ende zu einem positiven Erfolgserlebnis. Ganz abgesehen davon: Kinder können mehr, als wir ihnen zutrauen.
Mit knapp über einem Jahr ist das ganz kleine Fräulein hinter meinem Rücken auf unser Klettergerüst geklettert. Wow – es hat nicht einmal eine Minute gedauert. Als ich mich umdrehe, grinst sie mich auf Augenhöhe an. Ich bin ein wenig geschockt. Der Stolz blitzt aus ihren kecken Augen, als sie mich anschaut. Sie hat das ganz alleine geschafft. Zugegeben, das war gefährlich, aber sie hat viel gelernt am Weg nach oben.
Die Sache mit dem dauernden Warnen …
Kinder entdecken täglich neue Dinge. Der dornige Busch mit den vielen Bienen am Weg in den Kindergarten, das Klettergerüst in der Siedlung, die Kletterbäume am Waldspielplatz, Regenwürmer im Gemüsebeet (iiiiiiihhh!), die Gänseblümchen aber auch Disteln in der Wiese oder einfach nur die Treppen vom Wohnzimmer in den ersten Stock. Überall stecken sie ihre Nasen und Finger rein, alles wollen sie ausprobieren. Bevorzugt und zum Leidwesen der Eltern zuallererst am liebsten alleine.
„Die Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste ….“, hat meine Oma immer gesagt. Ein Fünkchen Wahrheit ist schon dran. Ja, man darf vorsichtig sein. „Nein, tu das nicht!“, „Komm da wieder runter!“ oder „Greif das nicht an!“ Ich weiß nicht, ob sie es so toll gefunden hat, dass ich auf Bäume geklettert bin oder mich am Campingplatz testweise in den Ameisenhaufen gesetzt habe. Sie hat mich aber trotzdem nicht dauernd vor irgendwelchen Dingen gewarnt und selten gesagt, dass etwas gefährlich ist. Wenn sie es gesagt hat, dann war es auch wirklich so, das wusste ich. Denn: überproportional häufig und nicht gerechtfertigt verwendete Warnungen nutzen sich ab … Seht ihr, was ich meine?
Matsch zwischen den Zehen
Kürzlich haben wir allen Ernstes darüber diskutiert, warum die Kinder einer Bekannten in der Wiese nicht ohne Schuhe laufen dürfen. Da sind Blumen und deshalb Bienen, die könnten stechen. Mich hat in 36 Lebensjahren genau zwei Mal eine Biene gestochen – ich laufe jeden Sommer ohne Schuhe im Gras. (Ich nehme jetzt mal Menschen mit nachgewiesener Allergie gegen das Flugvieh aus). Die Turnlehrerin treibt es noch weiter:“Da hinten ist es matschig in der Wiese, sie sollen bitte Schuhe anziehen!“. Als ob Matsch schon mal Menschenleben gekostet hätte (!?) (…so es sich nicht tun ein Moorgebiet handelt). Sie schüttelt den Kopf, als ich meiner Tochter sagen, sie kann die Schuhe ruhig da lassen, wir waschen den Matsch danach ab.
Es ist kein Geheimnis, dass Kinder, die mit Treppen ohne Schutzgitter im Haushalt aufwachsen viel früher Treppen bewältigen können als andere. Meistens sind sie dabei nicht einmal öfter gestürzt.
Das kannst du noch gar nicht
Oft lasse ich meine Töchter einfach machen. „Das kannst du noch nicht!“ sage ich eigentlich nie. „Das kannst du doch gar nicht wissen, du hast es ja nicht gesehen„, würde mein schlaues großes Kind darauf vermutlich sagen. Meine Pippi Langstrumpf geht prinzipiell davon aus, dass sie alles kann, bis der Gegenbeweis erbracht wird.
Die Regeln: Wenn sie klettern möchten, dürfen sie es probieren. Wo sie alleine raufkommen (und runter!), dürfen sie raufklettern. Ist es hoch, sichere ich sie, denn klar: Sicherheit geht vor.
Kinder werden um eure Hilfe bitten, wenn sie diese brauchen. Gebt ihnen zeit, auszuprobieren, beobachtet und greift nicht übereilt ein!
Zum Balancieren am hohen Vorsprung streckt mir das kleine Fräulein bittend die Hand entgegen. Sie möchte das noch nicht alleine machen. „Mama, mit dir!“, flüstert sie. Klar, machen wir …
Kinder lernen durch selber tun!
Manche Eltern finden es seltsam, wenn Kinder einfach machen. Manchmal halten sie es auch für gefährlich und haben Angst vor möglichen Folgen. Man darf/soll/muß natürlich nicht unvorsichtig sein. Aber habt ihr euch schon mal überlegt, was einem im Leben alles entgeht, wenn man immer nur vorsichtig und nicht ein wenig mutig ist? Auch als Erwachsener!
„Selbst tun“ führt zu den schönsten Erfolgserlebnissen. Was glaubt ihr, welches Kind wirst stolzer auf sich sein: jenes, das beim 500 Meter Lauf selbst durchs Ziel hüpft oder das, das getragen wird? Nur durch das Selbermachen wir ihnen bewusst, was sie können und schaffen können.
Es schaffen – wie fühlt sich das an?
Vor einigen Jahren habe ich etwas geschafft, auf das ich unglaublich stolz bin. Etwas, das mir gezeigt hat, wie sich ein unerwarteter Erfolg unmittelbar anfühlt. Ich habe mittelmäßig im Training zwischen Kind 1 und Kind 2 ein sogenanntes High Element (beim Klettern: hohe Kletterelemente) im Wald am Seil erklommen, habe mich oben am Baum auf die knapp 40×40 Zentimeter große Plattform gestellt und bin gesprungen (angeseilt natürlich!). Gefühlt waren es 20 Meter, ich schätze den Baum real aber eher auf 10 bis 15 Meter Höhe.
Für alle, die gut im Training sind, ist das sicher gar nichts. Aber als ich oben gehockt bin, dachte ich, ich kann auf dieser Plattform nicht aufstehen. Es ist wahnsinnig anstrengend, das Gleichgewicht auf dem wankenden Baumwipfel zu halten und sich gleichzeitig aufzurichten. Ich habe keine Höhenangst, es war trotzdem ein enormer Willensakt und eine wahnsinnige Kraftanstrengung. Übrigens war es auch bei mir der zweite Anlauf. Ich hatte es im Sommer davor schon versucht und nicht geschafft. Wie meine Kinder, bei denen es eben auch nicht immer beim ersten Anlauf klappt. Genaus so muß es sich für sie anfühlen, die erste Stufe im Haus ohne fremde Hilfe zu erklimmen. Ein Gefühl, dass ich ihnen nicht vorenthalten möchte. Es kamen natürlich (Gott sei Dank!) noch viele Erfolgserlebnisse danach, aber dieses war einfach beispiellos intensiv.
„Selbständig sein“ kommt von „selbst machen“
Lasst eure Kinder doch mal einfach machen, wenn es sicher ist. Lauft ihnen nicht dauernd nach und haltet sie fest oder zurück. Beobachtet sie. Unterstützt sie unaufdringlich. Kinder zeigen, wozu sie bereit sind, wenn wir ihnen nicht immer alles hinterher tragen oder sie anschieben. Auch Kleinkinder können alleine Rutschen. Sicher schon mit 18 Monaten. Dann eben auf der kleinen Rutsche. Sie können auf ein Piklerdreieck klettern. Das ist nicht hoch. Ein paar Matten rundherum und es kann kaum etwas passieren. Ein Löffel ist keine Waffe, bestenfalls eine Essensschleuder. Wir können ihnen etwas zutrauen! Kinder lernen nicht, indem sie schlicht beobachten (ok, auch aber nicht nur!) sondern durch Ausprobieren, Scheitern, Lernen, wieder Versuchen und letztlich durch das Erfolgserlebnis.
Greift nicht sofort ein, wenn etwas nicht auf Anhieb klappt! Knöpfe an der Jacke, der Reißverschluss an der Hose oder ganz am Anfang der Löffel zum Mund. Natürlich geht es schneller, wenn wir es machen, aber wir alle haben mehr davon, wenn sie es selbst versuchen können.
Wir wollen schließlich nicht, dass es schneller geht, sondern dass unser Kind Selbstvertrauen entwickelt!
Natürlich, oft fällt es uns sehr schwer, abzuwarten, bis Kinder etwas nach X Versuchen selbst können. Sie brauchen wie wir auch Zeit, um neue Dinge zu üben (lern mal als Erwachsener Rad fahren!). Das liegt auch daran, dass vieles, was Kinder neu lernen für uns so banal scheint. Ich habe es oben schon erwähnt: wartet trotzdem, bis euer Kind euch z.B. beim Reißverschluss um Hilfe bittet. Meine Tochter hat es mir zutiefst übel genommen und ist wütend geworden, wenn ich ihr bei solchen Dingen voreilig aus Eile dazwischen gefunkt habe.
Wie würdet ihr euch fühlen, wenn euch dauernd jemand sagt, dass ihr etwas noch nicht könnt?
PS: Das Porzellan wird übrigens auch irgendwann kaputt, wenn man sein Leben lang vorsichtig damit ist. Vielleicht sollte man es zwischendurch auch mal benutzen und nicht nur im Regal verstauben lassen. Macht einfach mehr Spaß …
Alles Liebe,
Lasst ihr eure Kinder gerne Dinge selbst ausprobieren? Was sind eure Erfahrungen?
geh,machst das nächste mal ein foto von der händchen-halte-mama…die kann’s ja nicht echt geben,oder?!?! wobei,welche,die ihrem kind wirklich überall nachrennen – meist im gleichen zick-zack wie die kleinen – hab ich auch schon beobachtet 😉
Sonja, zugegeben, das war metaphorisch gemeint. Sie hat nicht Händchen gehalten. Aber heut ist es schon wieder passiert (andere Mutter). Das arme Kind durfte nicht mal ein Steckerl, das es entdeckt hat selbst aufheben…
[…] überfordert sie wohl eher als dass es fördert. Dabei lernen Kinder soviel, wenn man sie einfach mal machen lässt. Es ist ja auch nicht jeder Erwachsene gleich stark sportlich, musikalisch, rethorisch, […]
Zutrauen ist eines der wertvollsten Geschenke, die wir Kindern mitgeben können – ihnen etwas zutrauen, bevor sie uns bewiesen haben, dass sie es können! Liebe Grüße, Vera
Liebe Vera, ja, da hast die völlig recht! Sie können es ja oft, bevor sie selbst wissen, dass sie es können. Außerdem, wie sollten sie es uns sonst beweisen? Alles Liebe, Judith
Kinder sind fähiger und kompetenter, als wir es oft annehmen bzw. teilweise auch wahrhaben wollen. Ich versuche, ihr viele Freiräume zu geben und werde oft überrascht. Und das obwohl ich weiß, dass sie einiges draufhat, meine Kleine. Eine sehr schwierige Eltern wär es zum Beispiel, mal einen Tag lang wirklich nur dann einzuschreiten, wenn Gefahr im Verzug ist. Und damit meine ich auch nur akustisch. Also, einfach mal still sein, Kind beobachten und machen lassen. Ich hab mir dazu mal Gedanken gemacht und sie beim Namen verlinkt. 🙂 Danke für den Artikel, meine Liebe!
Eine sehr schwierige AUFGABE für Eltern, meine ich, natürlich. 🙂
<3 Ich weiß ja, wir sind da in vielen Dingen der gleichen Meinung ;)