Rituale sind wichtig für meine Kinder. Damals, als bei uns die kleine Schwester kam, war plötzlich alles anders. Viele Rituale mussten über den Haufen geworfen werden. Das Schlafen gehen, das Aufstehen. Die Welt des kleinen Fräuleins stand Kopf, so sehr wir uns auch bemüht haben. Das war eine harte Zeit, aber wir haben neue Rituale geschaffen. Um ihr Halt zu geben.
Rituale geben und Menschen Halt und Geborgenheit – Erwachsenen wie Kindern. Die Gewohnheit, etwas immer gleich und zur gleichen Zeit zu tun gibt Sicherheit und stärkt uns. Für Kinder erleichtern Rituale die Übergänge zwischen verschiedenen Phasen, wie etwa das Schlafen gehen abends, morgens das Anziehen oder das Aus-dem-Haus-gehen. Manchmal haben wir sogar Rituale von denen wir nicht bewusst wahrnehmen, dass es welche sind. Ein Alltag ganz ohne Rituale wäre für unsere Kinder vermutlich fast ein wenig verstörend – permanent neu, jeder Akt eine neue Herausforderung. Damit können Kinder noch nicht umgehen und nun stellt euch mal vor, wie sich das auf die Autonomiephase auswirken würde…. (huch!)
Rituale geben Struktur
Kinder tun sich mit Übergängen häufig viel schwerer als Erwachsene. Lange Zeit war es für das kleine Fräulein ein wirkliches Problem sich von der Situation Frühstück und zu Hause sein auf „Das Haus verlassen“ und in den Kindergarten gehen umzustellen. Als ich das (endlich!) erkannt habe, habe ich ein kleines Ritual eingeführt und eine Weile zum Schuhe anziehen eine passende Geschichte erzählt, in die sie mit einbezogen wurde. Das hat perfekt geholfen und wir konnten stressfrei das Haus verlassen. Die Geschichte hat ihr den Übergang erleichtert, vielleicht hat sie sie auch einfach nur ein wenig abgelenkt. Rituale machen den Tag für Kinder vorhersehbarer und nehmen Ängste, was für sie wiederum weniger Streß bedeutet. Das heißt natürlich nicht, dass Rituale immer umgehend und auf jeden Fall funktionieren, aber sie helfen ungemein. Ein Ausfall bedeutet dafür dann oft Eskalation. Stellt euch vor, die gewohnte Lieblingstasse ist unauffindbar. Oder die Lieblings-Trinkflasche für die nacht (bei uns sehr wichtig!). Das kommt unerwartet und trifft sie (und mich) hart.
Ritual: Schlafen gehen. Bei uns so …
Schon für Babys ist es einfacher, ein Einschlafritual zu haben. Bei uns war das bei beiden Kindern zu Beginn zum Beispiel Windeln Wechseln, Pyjama anziehen, Singen oder Lesen, Brust geben/Trinken und Einschlafen. Möglichkeiten gibt es viele und vor allem passen sie sich natürlich immer an eure Situation an. Heute sind wir da schon flexibler mit Umziehen, Zähne Putzen (auch hier das Putzritual), Lesen ODER eine Folge der Lieblingsserie gemeinsam gucken und dann Schlafen gehen. Hier schließt dann noch der obligatorische Schrei (auch das ist ein Ritual!) nach der frisch befüllten Wasserflasche am Bett an, eine obligatorische Nachfüllung ebendieser fünf Minuten später, eine immer gleiche Küsschen-Zudeck-Reihenfolge und das einen Spalt offen lassen der Tür an. Das bedeutet nun natürlich nicht, dass man seinen Ablauf auf Biegen und Brechen durchsetzen muß, wenn mal nicht alles so klappt, wie es soll. Wir haben hier ja kein Drehbuch, das abgespielt werden muß und natürlich gibt es Abende, da klappt es ganz schlecht. Trotzdem sind Rituale etwas, an dem sich Kinder festhalten können und sich quasi entlang ziehen können durch den hektischen und manchmal unvorhersehbaren Alltag der Erwachsenen.
Rituale stärken Selbständigkeit und Selbstvertrauen
Die Hirnforschung weiß übrigens, dass es ungefähr 50 Wiederholungen braucht, um eine neuronale Vernetzung im Gehirn zu erzeugen. Wer also über ein Ritual an jeder Straßenecke gemeinsam mit einem Kind übt, wie man die Straße quert, ist schon am richtigen Weg, ihm zu mehr Selbständigkeit und damit auch zu mehr Selbstvertrauen sowie Sicherheit zu verhelfen. In Wirklichkeit gibt auch das gemeinsame Zähneputzen und „Nachputzen“ oder „Nachkontrollieren“ Selbstsicherheit – nämlich die, es irgendwann alleine und ohne Hilfe tun zu können. Hier passt ganz gut der Satz „Hilf ihnen, es selbst zu tun“ von Maria Montessori. Mit Ritualen lernen Kinder Dinge, die sie zu Beginn mit uns gemeinsam und irgendwann alleine tun können. Radfahren, Straßen queren, U-Bahn fahren, Zähneputzen, Einschlafen und viele andere Dinge gehen so in Fleisch und Blut über.
Ich habe Psychologin und Verhaltenstherapeutin Anna Werksnies gefragt, was sie von Ritualen hält und was sie Eltern in ihren „Und plötzlich Eltern“-Kursen auf diese Frage antwortet.
Stadtmama: Ab wann werden Rituale ungefähr wichtig für Kinder?
Anna: Rituale spielen bereits ab dem zweiten Lebensmonat von Babys eine wichtige Rolle. Rituale/Regeln geben Sicherheit und schaffen ein Gefühl der Geborgenheit.
Stadtmama: Weshalb so früh und warum ist das so?
Anna: Beruhend auf den 4 Grundbedürfnissen des Menschen „Selbstwert/Bindung/Orientierung/Lust“ führt neben der Bindung besonders eine fehlende Orientierung zu den auffälligsten Problemfeldern (Anmerkung: in der Jugend/im Erwachsenenalter). Schon Babys brauchen Gleichmäßigkeit, Vorhersehbarkeit und Wiederholungen, um die Welt und ihre Funktion begreifen zu können. Je strukturierter deren Tagesabläufe sind, desto sicherer fühlen sich die Kinder und können mehr Raum für persönliche Entwicklung einnehmen.
Stadtmama: Ab wann kann oder sollte man also mit dem Einführen von Ritualen anfangen? Stichwort: Schlafenszeit
Anna: Bereits in den ersten Wochen macht es Sinn ein festes Zubettgehen-Ritual auszuprobieren. Der Prozess selbst unterscheidet sich natürlich je nach Kind. Klappt es nicht gleich, brauchen wir die Idee eines Zubettgeh-Rituals aber nicht gleich wieder beiseite zu schieben. Je mehr wir aus Angst, Sorge, „Faulheit“ oder Zeitmangel das Einführen einer Routine, wo unser Kind offensichtlich eine bräuchte wegschieben, desto schneller kommt es als „Boomerang“ zurück. Manchmal erst Jahre später.
Der letzte Satz erklärt auch, weshalb es so wichtig sein kann, zum Beispiel Situationen wie das Überqueren einer Straße in ein Ritual zu verpacken, das regelmäßig „geübt“ wird. Im Kleinkindalter bringt ihr eure Kinder täglich in den Kindergarten und holt sie ab, in der Volksschule dagegen wird plötzlich erwartet, dass sie es irgendwann alleine können. Wer häufiger geübt hat, wird wissen, wie man selbständig einen bekannten Weg in der Stadt ohne Eltern meistert. Wer nicht geübt hat, den wird die Situation vermutlich überfordern. Denkt mal daran, wie euch das Autofahren zu Beginn gefordert hat – jetzt geht das alles vermutlich schon ganz von selbst (gut, bei mir nicht, mir fehlt natürlich völlig die Übung, aber ich fahre auch nie Auto).
Natürlich muß sich jetzt niemand zwingen irgendwelche in der Literatur recherchierten Rituale einzuhalten. Sie sollten vielmehr zu eurem Alltag passen, sich darin integrieren und auf ganz natürliche Art teil eures täglichen Lebens sein. Ich kann übrigens nicht bestätigen, dass unsere Kinder schlechter oder besser schlafen, wenn wir wahlweise eine Folge Prinzessin Sophia, Emily Erdbeer, Coco oder Au Schwarte ansehen ODER ein oder zwei Bücher lesen. Zu uns passt sowohl das Lesen als auch das gemeinsam Serien schauen auf der Couch. Und das, obwohl ich weiß, dass Fernsehen vor dem Schlafen gehen nicht empfohlen wird, werden wir es auch weiterhin so handhaben, weil es gut klappt. Hier funktioniert es.
Workshop-Tipp „Und plötzlich Eltern …“
Die von Anna (Psychologin & Therapeutin) und Katja (Hebamme) initiierten Workshop-Reihe „Und plötzlich Eltern“ ist ein Herzensprojekt der beiden. Anna und Katja sind beide selbst zweifache Mütter und immer wieder kommen Eltern mit vielen Fragen rund um das Thema Eltern werden (zum ersten Mal), Eltern sein oder Geschwisterinder auf sie zu. In den Workshops erfahrt ihr nicht nur mehr zum Thema Rituale, es werden viele Themen rund um das Eltern werden & sein behandelt und ihr könnt natürlich auch eure eigenen Fragen mitbringen. Zur sinnvolleren Gestaltung der Inhalte gibt es die Workshops in zwei Teilen:
- Teil 1 (vor der Geburt/1. Gebärende) NÄCHSTER TERMIN am 23.06 in der Siebensternpraxis
- Teil 2 (für 2. oder 3. Gebärende) NÄCHSTER TERMIN am 30.06 in der Stammersdorfer Praxis
HIER erfahrt ihr mehr zu den Inhalten der Workshops und sehr alle kommenden Termine.
Über Anna
Anna Werksnies arbeitet unter anderem als klinische Gesundheitspsychologin und Verhaltenstherapeutin in ihrer Praxis in Wien. Als sie vor über fünf Jahren selbst zum ersten Mal Mutter wurde, änderte sich nicht nur ihr Leben drastisch sondern auch ihre Arbeitsschwerpunkte. Neben ihren Stamm-Themen entstanden durch die starke Nachfrage von anderen Eltern Workshops rund um das Themenfeld Eltern werden und Eltern sein.
[…] für Entspannung und ist sehr angenehm für deinen Zwerg. Ein Grund mehr, baden zum Beispiel ins Einschlafritual mit aufzunehmen oder gelegentlich zu nutzen, um für Entspannung zu sorgen. Die meisten Babys baden […]